1. Kinderunfall
Rz. 44
Bei der Beurteilung von Kinderunfällen im Straßenverkehr sind folgende Besonderheiten zu beachten:
▪ |
Kindern als verkehrsschwachen Personen gegenüber hat der Kraftfahrer besondere Sorgfalt walten zu lassen. |
▪ |
Gegenüber Kindern gilt zugunsten des Kraftfahrers der Vertrauensgrundsatz nur stark eingeschränkt. Ergeben sich aus der allgemeinen Verkehrssituation oder dem Verhalten des Kindes Auffälligkeiten, die zu einer Gefahrensituation führen könnten, muss der Kraftfahrer unverzüglich reagieren. Sonst handelt er vorwerfbar und schuldhaft (BGH VersR 1985, 1088). |
▪ |
Das Verschulden und die Zurechnungsfähigkeit für Verkehrsverstöße eines Kindes sind unter Berücksichtigung seines Alters und seines Entwicklungsstandes im Interesse des Kindes, ggf. unter Hinzuziehung eines Kinderpsychologen, sorgfältig zu prüfen. |
Rz. 45
Beachte
Durch die Neufassung des § 828 Abs. 2 BGB durch das Zweite Schadensrechtsänderungsgesetz ist die Altersgrenze für die Haftung/Mithaftung von Kindern im motorisierten Verkehr auf das vollendete zehnte Lebensjahr angehoben worden. Bei Kindern bis zur Vollendung des zehnten Lebensjahres kann der Halter eines Kraftfahrzeugs seine Haftung nur noch bei "höherer Gewalt" ausschließen (vgl. im Einzelnen § 2 Rdn 179 ff.).
2. Fußgängerunfälle
Rz. 46
Bei Unfällen zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Fußgänger ist in der Regel von einer alleinigen oder deutlich überwiegenden Haftung des Kraftfahrers auszugehen, wenn nicht dem Fußgänger ein schweres Mitverschulden anzulasten ist. Bei der Abwägung der Verursachungsanteile im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB darf nur schuldhaftes Verhalten des Fußgängers verwertet werden, von dem fest steht, dass es mitursächlich war, wofür regelmäßig der Halter des Kfz die Beweislast trägt (BGH v. 24.9.2013 – VI ZR 255/12 – VersR 2014, 80). Geht ein Fußgänger am linken Fahrbahnrand, weil ein Gehweg fehlt, ist dies nicht zu beanstanden (BGH VersR 1967, 706).
Rz. 47
Zumindest eine deutlich überwiegende, wenn nicht alleinige Haftung trifft den Kraftfahrer auch in den Fällen, in denen er einen nachts auf der rechten Fahrbahnseite laufenden Fußgänger anfährt (BGH VersR 1967, 977; OLG Düsseldorf VersR 1972, 793).
Rz. 48
Grundsätzlich darf aber ein Kraftfahrer darauf vertrauen, dass Fußgänger nicht plötzlich und unvorhersehbar die Fahrbahn betreten. Dies gilt allerdings nur eingeschränkt gegenüber erkennbar verkehrsschwachen Personen (§ 3 Abs. 2a StVO).
Rz. 49
Andererseits trifft den Kraftfahrer die Pflicht, die gesamte vor ihm liegende Fahrbahn zu beobachten. Ist hierbei für ihn ein unvorschriftsmäßiges Verhalten von Fußgängern erkennbar, muss er sich auf dieses einstellen (BGH VersR 1988, 91).
3. Radfahrerunfälle
Rz. 50
Ein Verkehrsunfall zwischen einem Kraftfahrzeug und einem Radfahrer führt meist zu einer überwiegenden Haftung des Kraftfahrers, da dieser zusätzlich mit der Betriebsgefahr belastet ist.
Rz. 51
Eine Mithaftung des Radfahrers kommt demgegenüber nur bei dessen festgestelltem Verschulden in Betracht.
Beachte
Bei Fußgängern oder Radfahrern gibt es bekanntlich keine Betriebsgefahr. Der Kraftfahrer haftet ihnen dagegen voll aus § 7 Abs. 1 StVG, jedoch mit der Möglichkeit der Mithaftung aus § 254 BGB.
Rz. 52
Überquert ein Radfahrer fahrend einen Fußgängerüberweg, ist in der Regel eine Haftungsteilung vorzunehmen, da er in diesem Falle nach § 26 Abs. 1 S. 1 StVO gegenüber dem Kraftfahrzeugverkehr auf der Fahrbahn nicht mehr bevorrechtigt ist (OLG Hamm VersR 1993, 1290).
Rz. 53
Kommt es zu einem Verkehrsunfall, weil ein Kraftfahrer mit ungenügendem Seitenabstand einen Radfahrer überholt, kommt eine Mithaftung des Radfahrers grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn das Fahrrad bei Dunkelheit nicht beleuchtet ist oder wenn der Radfahrer nicht am rechten Fahrbahnrand fährt (BGH VersR 1970, 328; 1964, 653; 1962, 633).
Rz. 54
Bei minderjährigen Radfahrern, die beispielsweise durch einen plötzlichen Schlenker nach links einen Unfall mitverursachen, kommt in der Regel eine geringere Mithaftung in Betracht als bei erwachsenen Radfahrern (BGH VersR 1968, 369; 1966, 1185).
4. Helmpflicht bei Radfahrern
Rz. 55
Bei Fahrrädern geht die Tendenz in der Rechtsprechung dahin, lediglich bei einem (auch hobbymäßigen) Rennradfahrer, bei dem die Erzielung hoher Geschwindigkeiten im Vordergrund steht, eine Helmtragepflicht anzunehmen, nicht jedoch beim herkömmlichen Freizeitfahrradfahrer (vgl. OLG Düsseldorf DAR 2007, 458 = NZV 2007, 619 = NJW 2007, 3075; OLG Saarbrücken VersR 2008, 982 = NZV 2008, 202 = DAR 2008, 210, dazu Jahnke, jurisPR-VerkR 1/2008 Anm. 3; OLG München v. 3.3.2011 – 24 U 384/10; OLG Celle DAR 2014, 199; zur gesamten Problematik Ternig, zfs 2008, 69 ff.). Der BGH hat zwischenzeitlich entschieden, dass "jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011" das Nichttragen eines Fahrradhelms durch einen (nicht sportlich ambitionierten) Radfahrer, der Kopfverletzungen erlitten hat, die durch einen Fahrradhelm hätten gemildert werden können, nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens führt (BGH v. 17.6.2014 – VI ZR 281/13 – VersR 2014, 974 = zfs 2014...