Rz. 13
Wer ein komplexes Versicherungsprodukt wie die Hausratversicherung vertreibt, schuldet vor und bei Vertragsabschluss Aufklärung und Beratung, auch wenn der Versicherungsnehmer für seine Risikoabdeckung vom Grundsatz her selbst verantwortlich ist und auch im VVG 2008 verantwortlich bleibt. Derartige Beratungspflichten hat die Rechtsprechung schon vor Inkrafttreten des VVG 2008, das die Beratungspflicht der Versicherer in § 6 VVG 2008 ausdrücklich normiert, in Bezug auf zeitliche, sachliche und wertmäßige Lücken im Versicherungsschutz bejaht, sofern diese Lücken für den Versicherer bzw. den für ihn handelnden Agenten erkennbar waren. Nunmehr sind sowohl die Versicherer selbst als auch die Vermittler kraft Gesetzes ausdrücklich verpflichtet, den künftigen Versicherungsnehmer nach seinen Wünschen und Bedürfnissen zu befragen, ihn entsprechend zu beraten und den erteilten Rat zu begründen. Dies ist zu dokumentieren (§§ 6 Abs. 1, 61 VVG 2008).
Richtet sich der Vorwurf mangelhafter Beratung gegen einen Versicherungsmakler, haftet nicht nur dieser selbst, sondern unter Umständen auch der Versicherer, wenn der Makler nicht als treuhänderischer Sachwalter des Versicherungsnehmers, sondern vielmehr als im Lager des Versicherers stehend anzusehen ist.
Rz. 14
Außer durch die AVB der Hausratversicherung werden Inhalt und Umfang des Versicherungsschutzes gegebenenfalls durch abweichende
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Prospekterklärungen des Versicherers und |
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fehlerhafte Beratung des mit dem Vertragsabschluss betrauten Personenkreises |
bestimmt. Bei Prospektangaben wird ein verständiger Versicherungsnehmer zwar berücksichtigen, dass diese den angebotenen Versicherungsschutz plakativ umschreiben; es kann ihn deshalb nicht überraschen, wenn die AVB gegenüber der Prospektaussage Präzisierungen und Einschränkungen enthalten. Er darf aber darauf vertrauen, dass die Prospektangaben im Kern zutreffend sind und ihm kein falsches Bild von dem angebotenen Versicherungsprodukt vermitteln.
Ähnlich verhält es sich mit den Erläuterungen, die der Versicherer in dem für Neuverträge seit dem 1.1.2008 vorgeschriebenen Produktinformationsblatt gibt. Es soll nach § 4 VVG-InfoV dem Versicherungsnehmer diejenigen Informationen vermitteln, die für den Abschluss oder die Erfüllung des Versicherungsvertrages "von besonderer Bedeutung" sind. Vollständigkeit kann angesichts dessen nicht erwartet werden. Das Produktinformationsblatt muss aber einen deutlichen Hinweis hierauf enthalten. Es richtet sich an Verbraucher und darf nicht den Eindruck erwecken, seine Durchsicht genüge, um sich mit den Einzelheiten des beabsichtigten Versicherungsschutzes vertraut zu machen. Widersprüche zwischen den Angaben im Produktinformationsblatt und den AVB gehen zu Lasten des Versicherers. Noch mehr Klarheit bringen soll das "Insurance Product Information Document" (Ipid), das die EU im Rahmen der Versicherungsvertriebs-Richtlinie plant.
Dasselbe gilt für Erläuterungen, die der mit dem Vertragsabschluss betraute Versicherungsagent zu dem Versicherungsschutz erteilt bzw. für eine unterlassene, den erkennbaren Umständen nach aber gebotene Beratung über Deckungslücken. Der Agent tritt dem Antragsteller im Stadium der Vertragsanbahnung als vom Versicherer benannter Ansprechpartner gegenüber, er erteilt für ihn Auskunft und Rat. Sofern sich dem Versicherungsnehmer aus den Prospekterklärungen des Versicherers oder ihm erteilten Erläuterungen des Agenten ein anderes Verständnis über den Umfang des Versicherungsschutzes erschließt, als dieser nach den AVB besteht, ist es für den tatsächlichen Vertragsinhalt bestimmend. Entsprechendes gilt, wenn von dem Versicherungsagenten die Aufnahme einer bestimmten Deckungserweiterung in den Vertrag zugesagt, dann aber nicht in das Antragsformular aufgenommen wird. Nur bei einem evidenten Vollmachtsmissbrauch bzw. bei kollusivem Zusammenwirken zwischen Agent und Antragsteller gelten diese Grundsätze nicht.
Rz. 15
Beispiele für Beratungsverschulden
Zeitliche Deckungslücke wegen Versäumung der Vereinbarung einer automatischen Vertragsverlängerung; Haftung des Versicherers, weil der Agent bei beabsichtigtem Umzug nicht auf die für den konkreten Vertrag (AERB 87) erforderliche Veränderung des Versicherungsortes hingewirkt bzw. auf die Bitte des Versicherungsnehmers, ihn "so gut wie möglich" zu versichern, nicht für umfassenden Versicherungsschutz gesorgt hat; bei erkennbaren wertmäßigen Lücken der Deckung.
Rz. 16
Die Verletzung von Beratungspflichten bzw. die Erteilung fehlerhafter Auskünfte hat als Sanktion die Haftung des Versicherers auf Schadensersatz wegen enttäuschten Vertrauens bzw. die Haftung auf Erfüllung eines so nicht ausdrücklich vereinbarten Versicherungsvertrages zur Folge. Ein Beratungsverschulden führt in der Hausratversicherung etwa dazu, dass der Versicherer sich nicht auf Unterversicherung berufen kann. Im Wege des Vorteilsausgleichs ist im Schadenfall aber die Prämiendifferenz zu dem bei korrektem Versiche...