Rz. 203
Bei Eintritt und während des Versicherungsfalles hat der Versicherungsnehmer eine Vielzahl von Obliegenheiten zu beachten. Sie betreffen
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die Feststellung des Schadenereignisses und der Schadenursache |
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die Feststellung der Höhe des Schadens und der Entschädigung und |
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die Schadenabwendung und Schadenminderung. |
a) Schadenanzeige
Rz. 204
Die Schadenanzeige gegenüber dem Versicherer hat unverzüglich zu erfolgen (B 3.3.2.2 VHB 2022). Sie soll diesen nicht nur von dem Schadenfall in Kenntnis setzen, sondern ihm auch Gelegenheit geben, geeignete Maßnahmen zur Schadenfeststellung sowie zur Schadenminderung zu ergreifen. Die Bemessung der Frist zur Anzeige des Versicherungsfalls hängt von den Umständen, insbesondere von der zeitlichen Möglichkeit zur Erfüllung der Obliegenheit, ab; in der Regel muss eine Frist von wenigen Tagen eingehalten werden.
Die Schadenanzeige bedurfte nach den älteren Bedingungsfassungen der Schriftform. Wegen § 127 Abs. 1 BGB genügt jedoch die Textform des § 126a BGB. Deshalb fehlt in den aktuellen VHB eine Formvorschrift; stattdessen ist hinzugefügt "ggf. auch mündlich oder telefonisch" (B 3.3.2.2 a VHB 2022).
Rz. 205
Auch wenn der Versicherungsnehmer die Schadenanzeige schon vor deren Ausfüllen durch einen Dritten unterschreibt, handelt es sich um eine eigene Erklärung des Versicherungsnehmers. Sind die Angaben in einer solchen Erklärung falsch, hat der Versicherungsnehmer zu beweisen, dass ihn kein Verschulden trifft, wobei dieser Beweis nicht erbracht ist, wenn offen bleibt, ob der Dritte falsch informiert wurde oder eine richtige Information falsch verstanden hat.
Rz. 206
Rechtsprechung
Auf Fragen zu seiner wirtschaftlichen Situation hat der Versicherungsnehmer zutreffende Angaben zu machen; Aufbewahrung von Belegen kann bei Gegenständen des täglichen Lebens nicht verlangt werden; gegen Glaubwürdigkeit des Versicherungsnehmers kann es sprechen, wenn dieser nur schriftliche Erklärungen abgibt und ergänzende mündliche Angaben über den Geschehensablauf verweigert oder Personen im langjährigen Umfeld des Versicherungsnehmers bereits früher einem Versicherer einen Schadenfall mit ähnlichem und ebenfalls unwahrscheinlichem Geschehensablauf angezeigt haben; Versicherungsnehmer ist nicht verpflichtet, das Schadensbild unverändert zu lassen, wenn der Versicherer keine Untersuchungsforderungen an ihn richtet; Vorlage einer von ihm selbst erstellten Ersatzquittung muss Versicherungsnehmer anzeigen; eine sechs Tage nach Eintritt des Schadenfalls erfolgte Anzeige kann bereits nicht mehr unverzüglich sein, weil in diesem Zeitraum wertvolle Zeit für entsprechende Aufklärungsbemühungen verloren geht; die Vorlage fingierter Anschaffungsbelege mit Quittungsvermerken kann zu Leistungsfreiheit führen; ebenso Schmuckexpertise mit unrichtigen Angaben zu Modellnummer und -name, Kaufpreis; Verschweigen, dass sich auf dem in Brand geratenen Tisch ein Adventskranz befunden hat; Verschweigen der Nachfertigung eines Schlüssels, wenn es dem Versicherer auf die Schlüsselverhältnisse ankommt; siehe auch die Rechtsprechung zur arglistigen Täuschung und zur Stehlgutliste.
b) Insbesondere: Stehlgutliste
Rz. 207
Bei Einbruchdiebstahl, Vandalismus oder Raub ist nach B 3.2.2.2 b VHB 2022 unverzügliche Anzeige gegenüber der zuständigen Polizeidienststelle vorgeschrieben und dieser eine Stehlgutliste zu übergeben (B 3.2.2.2 c VHB 2022). Zwar besteht keine generelle Hinweis- und Belehrungspflicht des Versicherers, wenn aber nach telefonischer Schadensmeldung bei dem Versicherer weder in den daraufhin übersandten Anschreiben noch in dem zugehörigen Schadenformular darauf hingewiesen ist, dass die Stehlgutliste auch der Polizei unverzüglich einzureichen sei, schadet eine verspätete Einreichung bei der Polizei nicht.
Rz. 208
Die Stehlgutliste ist ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen, die diese individualisierbar machen und damit die Sachfahndung ermöglichen sollen. Sie dient außerdem der Verhinderung der Vertragsgefahr, nämlich des Schutzes des Versicherers vor unberechtigter Inanspruchnahme durch frühzeitige Festlegung des Schadensumfangs. Die damit verbundenen Kosten hat der Versicherungsnehmer als allgemeine Lebenshaltungskosten zu tragen.
c) Rettungsmaßnahmen, Weisungen
Rz. 209
Die Kosten von Rettungsmaßnahmen, zu denen der Versicherungsnehmer nach B 3.3.2.1 VHB 2022 verpflichtet ist, fallen dem Versicherer zur Last. Die Klausel entspricht § 82 VVG. Der Versicherungsnehmer ist danach verpflichtet, bei Eintritt des Versicherungsfalls nach Möglichkeit für die Abwendung und Minderung des Schadens zu sorgen und dabei die Weisungen des Versicherers zu befolgen; er hat, wenn es die Umstände gestatten, solche Weisungen einzuholen.
Der Versicherer wird bei Verletzung dieser Obliegenh...