Rz. 211
Bei einem Verstoß gegen die Obliegenheiten im Versicherungsfall gilt § 28 VVG, der in B 3.3.3 VHB 2022 umgesetzt ist.
Rz. 212
Bei einfacher Fahrlässigkeit bleibt der Leistungsanspruch unberührt. Liegt grobe Fahrlässigkeit vor, erfolgt eine Quotierung nach dem Grad des groben Verschuldens. Erforderlich ist aber, dass die Verletzung Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalls oder auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat. Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße verletzt und dasjenige nicht beachtet hat, was in seiner Lage jedem hätte einleuchten müssen. Den Beweis, dass eine nicht unverzügliche Schadenanzeige keinen Einfluss auf die Feststellung oder den Umfang der Versicherungsleistung gehabt habe, kann der Versicherungsnehmer dabei gegebenenfalls durch Vorlage eines Schadengutachtens und der staatsanwaltlichen Ermittlungsakte führen. Kausalität fehlt, wenn sich die Fahndungsmaßnahmen der Polizei darauf beschränkt hätten, eine Meldung in einem internationalen EDV-Suchverband einzustellen, wenn das Diebesgut aus Teilen bestand, die sich für eine solche Meldung nicht eignen. Haben mehrere Versicherungsnehmer ein einheitliches Risiko versichert, fallen die Versäumnisse eines von ihnen allen zur Last.
Der Versicherer genügt der ihm obliegenden Darlegungslast, welche Maßnahmen er bei rechtzeitiger Anzeige eines Brandschadens ergriffen hätte, nicht schon mit dem Hinweis, ihm seien eigene Erkenntnismöglichkeiten am Brandort genommen worden. Er kann sich nach Treu und Glauben nicht auf Leistungsfreiheit berufen, wenn der Zweck der Aufklärungsobliegenheit durch die falschen Angaben des Versicherungsnehmers letztlich doch erreicht worden ist.
Rz. 213
Vorsätzliche Obliegenheitsverletzungen führen grundsätzlich zur Leistungsfreiheit des Versicherers. Dem Versicherungsnehmer steht, von den Fällen der Arglist abgesehen, nach dem VVG jedoch stets der Kausalitätsgegenbeweis offen.
Rz. 214
Ob der Versicherungsnehmer über die drohende Rechtsfolge zuvor klar und unmissverständlich belehrt werden muss, wurde in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet. Verneint bei spontan zu erfüllenden Obliegenheiten wie der Einreichung der Stehlgutliste bei der Polizei und bei arglistigem Verhalten. Bejaht für Angaben im Schadenanzeigeformular. Nach heute h.M. ist der Versicherungsnehmer über die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen die Obliegenheiten im Versicherungsfall durch den Versicherer zu belehren. Die Belehrung muss zutreffend und unmissverständlich sein. Es genügt, wenn eine ausreichende Belehrung in dem Formular zur Schadenanzeige enthalten ist, sofern ergänzende Auskünfte in engem zeitlichem Rahmen angefordert werden.
Hinweis
Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, bleibt der Verstoß ohne Sanktion.
Rz. 215
Beweislast: Der Versicherer trägt die Beweislast für den objektiven Tatbestand einer vom Versicherungsnehmer begangenen Obliegenheitsverletzung. Der Versicherungsnehmer hat zu beweisen, dass ihn nur ein geringes Verschulden trifft. Ein solches ist bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung nur dann anzunehmen, wenn es sich um ein Fehlverhalten handelt, das auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer leicht unterlaufen kann und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag.
Rz. 216
Hinweis
Die Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung treten nicht bereits kraft Gesetzes ein; der Versicherer muss sich darauf gegenüber dem Versicherungsnehmer berufen.