Rz. 94
Die Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen im Rahmen des ArbZG auf die Herausforderungen der Arbeitswelt 4.0 reagiert werden kann, begegnen engen Grenzen. Es ist daher empfehlenswert, auch Instrumente jenseits des ArbZG zu nutzen, die dem Flexibilisierungswunsch von Unternehmen und Arbeitnehmern entsprechen.
I. Vertrauensarbeitszeit
Rz. 95
Ein Flexibilisierungsinstrument, das in der Arbeitswelt 4.0 häufiger angewandt werden kann, ist die Einführung von Vertrauensarbeitszeit. Aufgrund von neuerer Rechtsprechung des EuGH zur Pflicht des Arbeitgebers zur Erfassung der Arbeitszeit ist jedoch noch nicht absehbar, inwieweit dieses Instrument zukünftig Einschränkungen unterliegen wird. Dies wird davon abhängen, wie der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung des EuGH reagieren wird.
1. Grundsätze
a) Verzicht auf Kontrolle der Arbeitszeiten
Rz. 96
Der eigenverantwortliche Umgang mit der Arbeitszeit steht im Mittelpunkt der so genannten Vertrauensarbeitszeit. Vertrauensarbeitszeit zeichnet sich im Wesentlichen dadurch aus, dass der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Arbeitszeiten komplett verzichtet und der Arbeitnehmer frei in der Verteilung und Einteilung seiner Arbeitszeit ist. Damit kann der Arbeitnehmer seine Arbeitszeiten auf seine persönlichen Verhältnisse abstimmen. Unternehmensleitung und Vorgesetzte vertrauen darauf, dass die Mitarbeiter ihre Aufgaben in einem verabredeten Zeitraum eigenverantwortlich erledigen. Deshalb entfällt eine formale Zeiterfassung ebenso wie die Anwesenheitskontrolle. Entscheidend ist in diesem Modell nur, dass das abgesprochene Arbeitsergebnis termingerecht vorliegt. Die Lage und Dauer der Arbeitszeit, oft auch der Arbeitsort, sind Sache der Arbeitnehmer. Die tatsächlich geleistete Arbeitszeit ist unerheblich, solange das Ergebnis innerhalb der vorgegebenen Parameter bearbeitet wird.
Rz. 97
Hinweis
Zu berücksichtigen ist, dass sich Vertrauensarbeitszeit nicht für sämtliche Arbeitsverhältnisse eignet. Sie bietet sich nicht an, wenn die Arbeitsleistung an konkrete Zeiten gebunden ist, die Arbeitnehmer also nicht kommen und gehen können, wann sie wollen (z.B. bei Ladenöffnungszeiten).
b) Pflicht zur Einhaltung des ArbZG
Rz. 98
Auch bei der Vertrauensarbeitszeit hat der Arbeitgeber dafür zu sorgen, dass die gesetzlichen Vorgaben des ArbZG eingehalten werden. Insbesondere müssen die Arbeitnehmer angehalten werden, die gesetzlichen Ruhepausen gem. § 4 ArbZG (vgl. Rdn 35 ff.), die gesetzlichen Ruhezeiten zwischen einzelnen Arbeitseinsätzen gem. § 5 Abs. 1 ArbZG (vgl. Rdn 43 ff.) sowie das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit gem. § 9 ArbZG Abs. 1 (vgl. Rdn 61 ff.) einzuhalten.
Rz. 99
Vertrauensarbeitszeit bedeutet auch nicht, dass die Arbeitszeit variabel wird und der Arbeitnehmer, z.B. durch schnelle Erledigung seiner Aufgaben, eine Arbeitszeitverkürzung herbeiführen kann. Vielmehr bleibt es bei der Verpflichtung zur Ableistung der vereinbarten Arbeitszeit; der Arbeitsvertrag bleibt Dienstvertrag, und der Arbeitnehmer schuldet die Bereitstellung seiner Arbeitskraft im vereinbarten zeitlichen Umfang.
c) Aufzeichnungspflichten gem. § 16 Abs. 2 ArbZG
Rz. 100
Auch bei der Vertrauensarbeitszeit sind die Aufzeichnungspflichten zu beachten. Gem. § 16 Abs. 2 S. 1 1. Hs. ArbZG ist der Arbeitgeber bislang nur verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit (§ 3 S. 1 ArbZG), vgl. Rdn 18, hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen; diese Aufzeichnungen sind mindestens zwei Jahre aufzubewahren. Der Arbeitgeber muss also nach gegenwärtig geltender Rechtslage die Menge und die Lage der Arbeitszeit nicht generell dokumentieren, sondern lediglich die Überschreitungen.
Rz. 101
Hinweis
Solange ein Arbeitnehmer werktäglich nur bis zu 8 Stunden arbeitet, besteht also keine Aufzeichnungspflicht gem. § 16 Abs. 2 ArbZG.
Rz. 102
Zweck der Norm besteht darin, eine Überwachung der Einhaltung des Gesetzes durch die zuständigen Behörden zu gewährleisten. Der unnötige Verwaltungsaufwand soll dadurch begrenzt werden, dass ausdrücklich nur die über acht Stunden hinausgehende Arbeitszeit aufzuzeichnen ist.
Rz. 103
Zuletzt hat sich der EuGH mit der Frage der Arbeitszeiterfassung befasst. Die EU-Arbeitszeitrichtlinie regelt zwar selbst keine Pflicht zur Dokumentation der Arbeitszeit. Nach Auffassung des EuGH müssen die Mitgliedstaaten dennoch Arbeitgeber dazu verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer täglich geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann. Dies folge insbesondere aus der Pflicht der Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die praktische Wirksamkeit der Rechte auf tägliche und wöchentliche Mindestruhezeiten (Art. 3 und 5) sow...