I. Einleitung
Rz. 1
Seit dem 1.1.2008 gilt das neu bearbeitete Versicherungsvertragsgesetz (VVG) für alle Versicherungsverträge. Für die Leistungsverpflichtung der Versicherungsgesellschaften bedeutet dies, dass eine Leistungsfreiheit grundsätzlich nur noch bei Vorsatz erfolgt. Während vor der Änderung des VVG ein Versicherer die Leistung auch dann verweigern konnte, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt hatte, ist dies nach der Neuregelung nicht mehr generell der Fall. Vielmehr ist der Versicherer nunmehr nur noch berechtigt, die Leistung zu einer der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Quote zu kürzen. Erforderlich ist gemäß § 81 Abs. 2 VVG ein objektiv schwerer Sorgfaltsverstoß des Versicherungsnehmers, der subjektiv nicht entschuldigt werden kann.
Beruft sich der Versicherer im Rahmen der Fahrzeugvollversicherung auf eine vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalles durch den Versicherten, trägt er insoweit die volle Beweislast.
Rz. 2
Verletzt der Versicherungsnehmer vorsätzlich eine vertragliche Obliegenheit, ist der Versicherer leistungsfrei. Bei einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung (z.B. wenn der Versicherungsnehmer seiner Prämienzahlungsverpflichtung nicht rechtzeitig nachkommt), steht dem Versicherer ebenfalls das Recht zu, die Leistung entsprechend der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers zu kürzen. Der Versicherungsnehmer hat allerdings die Möglichkeit, den Versicherer zur Leistung zu zwingen, wenn er nachweist, dass seine Handlung nicht grob fahrlässig war ("Kausalitätsgegenbeweis"). Die Leistungspflicht besteht auch dann, wenn die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Die Leistungspflicht entfällt jedoch auf alle Fälle, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherer arglistig getäuscht hatte.
Rz. 3
Diese Regelungen gelten gleichermaßen für die Kfz-Haftpflichtversicherung wie auch für die Fahrzeugversicherung.
II. Auswirkungen
Rz. 4
Über die Vorschriften der §§ 81 Abs. 2, 28 VVG entfällt das nach dem alten VVG geltende – dort in § 61 VVG geregelte – "Alles-oder-Nichts-Prinzip". Jeder Einzelfall muss darauf hin betrachtet werden, wie sich bei anzunehmenden grob fahrlässigen Verhalten die Schwere des Verschuldens auf die Leistungspflicht des Versicherers auswirkt. Bei vertraglichen Obliegenheitsverletzungen muss darüber hinaus geprüft werden, inwieweit sich die Obliegenheitsverletzung auf die Leistungspflicht des Versicherers auswirkt. Während früher die Leistung gem. § 61 VVG verweigert werden konnte, ist nunmehr der Aufwand für die Falllösung gewachsen.
III. Lösungsansätze
1. Empfehlungen des Arbeitskreises II des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages 2009 in Goslar
Rz. 5
Die Neuregelung des VVG gerade im Bereich der Festlegung der Leistungsverpflichtung des Versicherers brachte es mit sich, dass sich der Arbeitskreis II des 47. Deutschen Verkehrsgerichtstages in Goslar 2009 mit der "Quotenbildung nach dem VVG – Empfehlungen" befasste.
Rz. 6
Er kam dabei zu folgenden Empfehlungen:
Zitat
1. Eine Quotenbildung nach dem VVG kommt nur in Betracht, wenn grobe Fahrlässigkeit vorliegt. Die Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit und die Anforderungen an ihren Nachweis haben sich durch die Möglichkeit einer Quotenbildung nicht verändert.
2. Einziges Bemessungskriterium für die Quotelung ist die Schwere des Verschuldens. Billigkeits- oder Strafrechtserwägungen müssen außer Betracht bleiben.
3. Da der Grenzbereich der groben Fahrlässigkeit zum bedingten Vorsatz auf der einen Seite und zur einfachen Fahrlässigkeit auf der anderen Seite fließend ist, ist der gesamte Bereich der möglichen Quotenbildung von der vollständigen Leistungskürzung bis zur vollständigen Leistung auszunutzen.
4. Um dem Rechtsanwender im Massengeschäft ein Hilfsmittel an die Hand zu geben, das im Regelfall eine sachgerechte Entscheidung ermöglicht, erscheint die Bildung von Musterquoten sachlich geboten. Dabei sollten nur wenige Quotelungsstufen (0 %, 25 %, 50 %, 75 %, 100 %) verwendet werden.
5. Maßstab für die Bildung der Musterquoten ist das objektive Gewicht der verletzten Sorgfaltspflicht. Für die abschließende Entscheidung kann und muss ggf. die Musterquot...