Rz. 64

In der Anwendungspraxis der Behörden ergaben sich aufgrund der unklaren Regelungen leider beträchtliche Probleme. So ist für die Überleitung von Maßnahmen nach dem alten Punktsystem in das neue Fahreignungs-Bewertungssystem und die anschließende Anwendung Irritation aufgetreten. Dem Betroffenen wurde bei fehlender Verhaltensänderung entweder das Pflicht-Aufbauseminar oder aber die freiwillige verkehrspsychologische Beratung aufgegeben. Bei mangelndem Erfolg wurde ihm schließlich für sechs Monate versagt, am fahrerlaubnispflichtigen Straßenverkehr durch die Entziehung der Fahrerlaubnis teilzunehmen. Da jedoch nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem der eigene Antrieb des Betroffenen Kraftfahrers angestoßen werden soll, wird der Betroffene jetzt wiederholt mit den Maßnahmestufen 1 und 2 zur Verhaltensänderung "ermuntert".[49]

 

Rz. 65

Es ist also festzuhalten, dass nach den alten Regelungen nicht nur die intrinsische Verhaltensänderung des Betroffenen, sondern gleichsam fachliche Hilfestellung zum Erhalt der Kraftfahreignung seitens des Gesetzgebers befördert wurde. Es ist also bereits fraglich, ob die Überleitung einer Maßnahme nach dem alten System in das Fahreignungs-Bewertungssystem überhaupt zulässig sein kann. Denn es fehlen die logischen Voraussetzungen hierfür bei der unterschiedlichen Behandlung. Diese unterschiedliche Behandlung von Kraftfahrern führt ggf. auch dazu, dass §4 StVG und §65 Abs. 3 StVG in einer Wechselwirkung zueinander zu betrachten sind. Anderenfalls kann weder eine Schlechter- noch eine Besserstellung vermieden werden.[50] So sind Kraftfahrer durch Maßnahmen, die nach dem alten Recht angeordnet sind und deren Grundlage Eintragungen sind, die nach neuem Recht nicht mehr eingetragen werden, schlechter gestellt, weil die durchgeführte Maßnahme jedenfalls ihrerseits eingetragen und überführt wird und damit ggf. anderen Tilgungsfristen unterfällt.

 

Rz. 66

Diese Probleme haben den Gesetzgeber u.a. veranlasst, das Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes, der Gewerbeordnung und des Bundeszentralregistergesetzes vom 28.11.2014 auf den Weg zu bringen.[51] Es waren nämlich weitere neue Regelungen zur Berechnung des Punktestandes für Fahrerlaubnisinhaber notwendig geworden, die mehrfache Verstöße begangen hatten. Diese Regelungen sind seit 5.12.2014 in Kraft und stellen inzwischen die dritte Änderung des ursprünglichen Gesetzesvorhabens dar. Angeblich soll es sich nur um eine Klarstellung handeln, die aufgrund der im Reformvorhaben getroffenen Festlegungen nicht klar genug formuliert gewesen sein soll.

Richtig ist, dass offenkundig kein bundeseinheitlicher Vollzug für sämtliche Fallgestaltungen durch die gesetzgeberische Vorgabe möglich war. Das Problem stellt sich vor allem dann, wenn der Betroffene mehrere Verkehrsverstöße, die der Fahrerlaubnisbehörde jedoch erst sukzessive bekannt werden, begangen hat. Ein Teil der Verstöße kann nämlich zu einem Punktestand führen, der bereits eine Ermahnung oder aber Verwarnung auslösen kann. Der andere Teil der Taten ist zwar ebenfalls vor dem Ergreifen der Maßnahme begangen, allerdings der Behörde aufgrund des zeitlichen Verfahrensablaufs unbekannt. So lautet §4 Abs. 5 S. 6 StVG nunmehr:

 

§4 Abs. 5 S. 6 StVG

Bei der Berechnung des Punktestandes werden Zuwiderhandlungen

1. unabhängig davon berücksichtigt, ob nach deren Begehung bereits Maßnahmen ergriffen worden sind,
2. nur dann berücksichtigt, wenn deren Tilgungsfrist zu dem in Satz 5 genannten Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war.

Ohne auf die Einzelheiten hier einzugehen, ist festzuhalten, dass das Zusammenwirken der Berechnungsvorschriften zu unterschiedlichen Auslegungen und auch Berechnungsergebnissen geführt hat.[52]

 

Rz. 67

Fest steht, dass der Gesetzgeber Folgendes im Sinn hatte:

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in seinem Urteil vom 25.9.2008[53] das Tattagprinzip unterfüttert: Es hat dabei dem Stufensystem eine "Warnfunktion" beigemessen und konstatiert, dass die Maßnahmen den Fahrerlaubnisinhaber ""möglichst frühzeitig und insbesondere noch vor dem Eintritt in die nächste Stufe erreichen"" sollten, damit ihm die ""Möglichkeit der Verhaltensänderung"" effektiv zuteilwird. Anderenfalls hätte er ""die weiteren Verkehrsverstöße, vor deren Begehung er eigentlich erst gewarnt werden soll, bereits begangen."" Allerdings wollte sich der Gesetzgeber für das ab 1.5.2014 geltende neue System mit den Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zur Punkteentstehung und zum Tattagprinzip bewusst absetzen.[54]

Um den Systemwechsel zu dokumentieren, kam die Klarstellung in Form des Änderungsgesetzes vom 28.11.2014. Es kommt nach dem Fahreignungs-Bewertungssystem also nicht darauf an, dass eine Maßnahme den Betroffenen vor der Begehung weiterer Verstöße erreicht und ihm die Möglichkeit zur Verhaltensänderung einräumt, da keine verpflichtende Seminarteilnahme vorgesehen ist. Auch soll der Erziehungsgedanke damit nicht den Fahrerlaubnis-Inhaber individuell ansprechen. Wörtlich heißt es daher in der Gesetzesbegrü...

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