Rz. 39

Im Optimalfall wird im Rahmen einer Rückwärtsrechnung die Schnittmenge aus den drei Erhaltungssätzen der Physik gebildet. Der Energieerhaltungssatz als zweite "Säule" ist dabei nicht minder bedeutsam als der Impulssatz und dem technischen Laien anhand praktischer Versuchsbeispiele auch hinreichend zu vermitteln.

 

Rz. 40

Der Begriff "Energieerhaltungssatz" beinhaltet die hier maßgebliche Größe, nämlich die Deformationsenergie bzw. die bei der Kollision geleistete Verformungsarbeit.

Ein Pkw, der sich dem späteren Anstoßort nähert (z.B. einem Baum), besitzt einen Impuls, bestehend aus Masse und Geschwindigkeit. Der Impuls ist umso höher, je schwerer bzw. je schneller das Fahrzeug ist.

 

Rz. 41

Gleichermaßen verhält es sich auch mit der sog. Bewegungsenergie (physikalisch: kinetische Energie). Sie wird berechnet aus dem Produkt der Geschwindigkeit zum Quadrat (v2) und der (halben) Unfallmasse. Gelangt also das Fahrzeug mit seiner Bewegungsenergie in ein Kollisionsgeschehen, so hat das Fahrzeug nach dem Unfall eine Restenergie (sofern es bis in die Endstellung z.B. schleudert) und eine, in der Crashphase abgebaute Verformungsenergie eingebüßt.

 

Rz. 42

Die Berechnung bzw. Einstufung dieser Verformungsenergie setzt eine "Normierung" voraus. Es ist z.B. nicht möglich, zwei Fahrzeuge mit bekannten Geschwindigkeiten gegeneinander fahren zu lassen und anschließend exakte Informationen zu erhalten, welches der beiden Fahrzeuge welchen Energieanteil de facto aufgenommen hat bzw. wie hoch die an den Fahrzeugen jeweils geleistete Verformungsarbeit war. Um diese Problematik zu umgehen, bedient man sich sog. normierter Crashversuche, d.h. der "Prüfling" (Pkw) wird gegen einen Gegenstand gefahren, der selbst nicht verformt wird, also während des Unfallverlaufes keine Verformungsenergie aufnehmen kann. Über eine solche Versuchsanordnung ist dann gesichert, dass nur das Crash-Fahrzeug die Verformungsenergie absorbiert. Durch den anschließenden optischen Vergleich mit Fahrzeugen im realen Unfallgeschehen ist man somit in der Lage, die dort aufgenommene Deformationsenergie pro Kfz verlässlich einzustufen.

 

Rz. 43

Zu beachten ist dabei, dass Karosseriestrukturen unterschiedlich steif, also mehr oder minder verformungsfreudig sein können.

Abb. 3.16a–16b

Quelle: www.crashtest-service.com

Als einfaches Beispiel kann hier das Versuchsergebnis der Abb. 3.16a–16b herangezogen werden. Hier prallte ein Kleinwagen Smart mit einer Geschwindigkeit von 48 km/h gegen einen 100 t Betonklotz. Erkennbar ist, dass sich das Fahrzeug nur wenig verformte, was aufgrund des zu fordernden Insassenschutzes auch zwingend erforderlich ist. Dieser Kleinwagen besitzt quasi keinerlei Knautsch- bzw. Verformungszone im Frontbereich. Dies führt dazu, dass die Geschwindigkeitsreduzierung des Fahrzeuges infolge des Crashs über eine sehr kurze Wegstrecke am Pkw und damit zeitlich stark gestrafft abläuft. Hierdurch wird die Belastung für die Insassen deutlich erhöht.

 

Rz. 44

Betrachtet man jetzt das Ergebnis des Unfallversuches mit einem üblichen Kompaktwagen, Abb. 3.17a–17b (Alfa 147), so ist der dortige Verformungsumfang (bei annähernd gleicher Anstoßgeschwindigkeit) erheblich größer.

Abb. 3.17a–17b

Quelle: www.crashtest-service.com

Wenngleich der Alfa 147 etwa 1,5-mal schwerer als der Smart war, wurde in dessen Insassenzelle im Crashverlauf eine Längsverzögerung (also das Abbremsen in der Kollisionsdauer) von ca. 150 m/s2 gemessen, während es beim Smart schon 250 m/s2 waren.

Die Ursache ist auch für den technischen Laien leicht nachvollziehbar. So verformte sich nämlich der Alfa deutlich stärker im Frontbereich als der Smart, Er besitzt also eine echte Knautschzone, d.h. einen Fahrzeugvorbau mit "klassisch" angeordneten Längsträgern, der sich gezielt verformen kann. Dementsprechend liegt die mittlere Kollisionsdauer im Versuch mit dem Alfa Romeo auch bei i.e. "normalen" 0,1 s, also dem durchschnittlichen Wert bei solchen Normversuchen. Beim Smart hingegen lag die Crashzeit bei nur 0,06 s, also um ca. 40 % darunter.

 

Rz. 45

Wenngleich man dem Smart also aufgrund der vergleichsweise geringen Frontstauchung die doch erhebliche Anprallgeschwindigkeit gegen den Betonklotz nicht direkt ansieht, so hat die Aufprallwucht für die Insassen aufgrund der fehlenden Knautschzone deutlich stärkere Auswirkungen. Sie sind nämlich einer erheblich höheren Insassenbelastung ausgesetzt als in einem mit einer Knautschzone versehenen Pkw.

Anders ausgedrückt kann man auch sagen, dass die Härte der Front des Smarts (sog. Formsteifigkeit) erheblich größer ist als die des Alfa Romeo 147. Dessen Verformungsverhalten ist eigentlich typisch für Pkw und auch SUV in klassischer Bauweise (selbsttragende Karosserie). Den Beweis hierfür liefern die Abb. 3.18a–18b, die einen Geländewagen der Marke Nissan Murano zeigen, der immerhin über 2 t schwer ist. Dieser fuhr ebenfalls mit einer vergleichbaren Geschwindigkeit (50 km/h) gegen eine solche Betonbarriere. Im Ergebnis ist die Frontstruktur ähnlich intensiv zurück...

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