A. Ladung zum Termin
I. Ladung des Angeklagten (Betroffenen)
Rz. 1
Hinweis
Zu Zustellungsmängeln siehe Kapitel "Zustellungen" (vgl. § 4 Rdn 46 ff.).
Rz. 2
Der Angeklagte (Betroffene) ist zu den Terminen ordnungsgemäß zu laden. Die unterbliebene Ladung hindert in Strafsachen die Säumnisfolgen, wie z.B. die Verwerfung nach § 329 bzw. § 411 StPO oder eine Abwesenheitsverhandlung nach § 232 StPO.
Auch in Bußgeldsachen begründet sie die Rechtsbeschwerde (z.B. Thüringer OLG StraFo 1997, 338).
II. Ladung des Verteidigers
1. Sämtliche Verteidiger
Rz. 3
Alle Verteidiger, die sich zum Verteidiger bestellt haben, müssen gem. § 218 S. 1 StPO, 71 OWiG, sofern sie nicht zur selben Sozietät gehören, zu den Terminen geladen werden (OLG Koblenz DAR 09, 592; OLG Zweibrücken NZV 2011, 97). Ist dies nicht geschehen, begründet dies die Rechtsbeschwerde (OLG Koblenz NZV 2009, 469; OLG Zweibrücken NZV 2011, 97; OLG Celle NZV 2012, 351).
Das Fehlen einer förmlichen Ladung kann nur dann unschädlich sein, wenn der Verteidiger auf andere Weise zuverlässig Kenntnis von dem Termin erlangt hat (BGH NStZ 1985, 229; BGH NStZ 2009, 48).
Rz. 4
Achtung
Auf die Ladung kann (unter Umständen stillschweigend) verzichtet werden (BayObLG StV 1985, 140).
2. Schriftliche Vollmacht liegt nicht vor
Rz. 5
Der Verteidiger muss auch dann geladen werden, wenn dem Gericht eine Verteidigervollmacht nicht vorlag (BGH NJW 1990, 586; OLG Bamberg zfs 2007, 232; OLG Koblenz DAR 2009, 592). Seine Ladung ist selbst dann erforderlich, wenn er sich erst nach Anberaumung des Hauptverhandlungstermins bestellt hat und ihm daraufhin antragsgemäß die Akten zur Einsicht übersandt worden sind, ohne ihn ausdrücklich auf den anstehenden Termin hinzuweisen (OLG Hamm VRS 53, 451).
3. Verteidigungsanzeige
Rz. 6
Auch wenn der Verteidiger von dem Termin anderweitig Kenntnis erlangt hat, muss er geladen werden (BayObLG bei Bär, DAR 1992, 366; OLG München NZV 2006, 48). Dies gilt in allen Fällen, in denen eine - nicht notwendigerweise gegenüber dem Gericht abgegebene - Verteidigungsanzeige vorliegt. Eine Anzeige bei der Verwaltungsbehörde reicht aus (OLG Düsseldorf DAR 1979, 40; OLG Bamberg zfs 2007, 232).
4. Ladung zu Fortsetzungsterminen
Rz. 7
Zwar spricht der Gesetzeswortlaut nur von der Ladung zum (1.) Hauptverhandlungstermin, dennoch muss der Verteidiger zu evtl. Fortsetzungsterminen geladen werden, was u.a. dann von Bedeutung sein kann, wenn z.B. einer von mehreren Verteidigern oder der Betroffene (Angeklagte) einem Termin ferngeblieben ist und dann ein Fortsetzungstermin bestimmt wurde (BGH StV 2001, 663).
5. Ladung zur kommissarischen Vernehmung
Rz. 8
Sowohl der Verteidiger als auch sein Mandant sind zu dem Termin einer kommissarischen Vernehmung zu laden. Ist dies nicht geschehen, besteht jedenfalls dann ein Verwertungsverbot, wenn der Verteidiger der Verlesung des Protokolls in der Hauptverhandlung ausdrücklich widerspricht, wobei selbst ein erst in der II. Instanz erhobener Widerspruch genügt (BGHSt 25, 375; OLG Bremen StV 1992, 59; OLG Braunschweig DAR 1992, 392).
6. Pflicht zum persönlichen Erscheinen und Ladung des Verteidigers
Rz. 9
Die frühere Rechtsprechung, wonach die Einspruchsverwerfung des der Hauptverhandlung ferngebliebenen Betroffenen dann unzulässig war, wenn der Verteidiger nicht ordnungsgemäß zum Termin geladen war (OLG Düsseldorf NZV 1994, 44; OLG Zweibrücken zfs 1994, 269), gilt noch fort, obwohl jetzt der Einspruch des unerlaubt abwesenden Betroffenen auch dann verworfen werden muss, wenn sein Verteidiger erschienen war, aber keinen Entbindungsantrag stellt (BayObLG DAR 2001, 37; OLG Hamm DAR 2012, 590).
Rz. 10
Praxistipp
Zum Entbindungsantrag siehe nachfolgend § 32 Rdn 6 ff.
7. Entbindung vom persönlichen Erscheinen
Rz. 11
Ist der Betroffene von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden worden, darf sein Einspruch auch dann nicht nach § 74 Abs. 2 OWiG verworfen werden, wenn weder er noch sein Verteidiger zur Hauptverhandlung erscheint (OLG Frankfurt zfs 2000, 272; OLG Hamm zfs 2004, 90; OLG Bamberg zfs 2007, 232; zu Einzelheiten siehe § 32 Rdn 1 ff.).
B. Frist
I. Für Verteidiger und Angeklagten (Betroffenen)
Rz. 12
Die Ladungsfrist ist sowohl gegenüber dem Verteidiger als auch gegenüber dem Angeklagten (Betroffenen) einzuhalten. Zwischen der Zustellung der Ladung und dem Tag der Hauptverhandlung muss eine Frist von mindestens einer Woche liegen, § 217 StPO, wobei der Tag der Zustellung und der der Hauptverhandlung nicht mitzurechnen sind. Bei Fortsetzungsterminen einer unterbrochenen Hauptverhandlung gelten keine Ladungsfristen.
Rz. 13
Hatte sich der Verteidiger schon zu einem Zeitpunkt bestellt, in dem die Ladungsfrist noch eingehalten werden konnte, gilt die Ladungsfrist auch für ihn (BGH NStZ 1983, 209). Ansonsten kann er einen Anspruch auf Aussetzung nur nach den Grundsätzen des fairen Verfahrens haben (BayObLG StV 1985, 140).
II. Nichteinhaltung der Ladungsfrist
Rz. 14
Ist die Ladungsfrist nicht eingehalten, hat der Angeklagte (Betroffene) bzw. der Verteidiger einen bis zu Beginn der Vernehmung zur Sache geltend zu machenden Aussetzungsanspruch (§ 217 Abs. 2 StPO), es sei denn, der verspätet geladene Verteidiger hatte nachweislich rechtzeitig zuverlässige Kenntnis von dem Termin, wobei die bloße Möglichkeit der Kenntnisnahme nicht ausreicht (BGH NStZ 1995, 298).
Rz. 15
Die Nichteinhaltung der Ladungsfrist hindert die Verwerfung des Einspruchs gegen den Strafbefehl oder der Berufung (§§ 412, 329 StPO...