Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 582
Bezieher von Leistungen nach SGB XII können unter bestimmten Umständen selbst zu den Erblassern mit werthaltigem Nachlass gehören. Das ist immer dann der Fall, wenn ihnen lebzeitig "Schutzschirme" für den Einsatz und die Verwertbarkeit ihres Einkommens oder Vermögens zugutegekommen sind und diese Mittel bis zu ihrem Tod "sozialhilfefest" waren.
Damit diese Schutzvorschriften zugunsten der Leistungsbezieher im Wege der Erbfolge nicht auch deren Erben zu Gute kommen und sich dort als Erbenschutzvorschrift auswirken, hat der Gesetzgeber mit dem 2. Gesetz zur Änderung des BSHG vom 14.8.1969 durch § 92c BSHG eine sogenannte echte Erbenhaftung für die Kosten der Sozialhilfe eingeführt. Diese Regelung wurde nach einigen Veränderungen in § 102 SGB XII übernommen, denn "die Vorschriften über nicht einzusetzendes Vermögen (§§ 90, 91 SGB XII) dienen allein dem Schutz des Sozialhilfeberechtigten, nicht aber dem seiner Erben. Dies wird durch Sinn und Zweck sowie die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt. … § 102 SGB XII bezweckt im öffentlichen Interesse in erster Linie eine möglichst umfassende Refinanzierung aufgewendeter Sozialhilfekosten bzw. der Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe."
Rz. 583
§ 102 SGB XII regelt, dass
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der Erbe der leistungsberechtigten Person |
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oder der Erbe ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners, falls diese vor der leistungsberechtigten Person sterben, |
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vorbehaltlich des Absatzes 5 |
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zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet ist, |
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die innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und die das Dreifache des Grundbetrages nach § 85 Abs. 1 SGB XII übersteigen. |
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sind nach § 102 Abs. 5 SGB XII von der Erbenhaftung ausdrücklich ausgenommen.
a) Verfassungsgemäß?
Rz. 584
Verfassungsrechtlich ist die Einführung einer solchen Kostenersatznorm dem Grunde nach nicht zu beanstanden, da die Erbrechtsgarantie nicht das (unbedingte) Recht gewährleistet, den Eigentumsbestand von Todes wegen ungemindert auf Dritte zu übertragen. Allerdings ist fraglich, ob sich angesichts der Abschaffung der Erbenhaftung in § 35 SGB II, der Ausnahmen zur Erbenhaftung in § 102 Abs. 5 SGB XII selbst und der Nichtaufnahme der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung in die Eingliederungshilfe des SGB IX die Ungleichbehandlung zu den verbliebenen Fällen noch begründen lässt. Warum haften die Erben, wenn der Leistungsbezieher seine Existenz durch Hilfe zum Lebensunterhalt statt durch Grundsicherung sichern musste? Hinsichtlich eines aus einer selbstbewohnten Immobilie bestehenden Schonvermögens führt die Differenzierung nämlich zu dem eigenartigen Ergebnis, dass dauerhaft voll erwerbsgeminderte und über 65-jährige Leistungsbezieher von Grundsicherungsleistungen dieses Schonvermögen ohne weiteres vererben können, zeitweise voll Erwerbsgeminderte aber nicht.
Warum wird vom überlebenden Ehegatten kein Kostenersatz verlangt, von seinen Erben, falls er vorverstirbt aber schon?
Rz. 585
Die Beispiele zeigen, dass das Nachrangprinzip in den Systemen der sozialen Sicherung nicht konsequent durchgehalten ist und letztendlich das Problem des Erbens in Familien mit Beziehern nachrangiger Sozialleistungen nicht mehr wirklich durchdacht und normiert ist. Die Ergebnisse wirken jedenfalls beliebig.
b) Erbe nach einem Sozialhilfebezieher – warum geht das überhaupt?
Rz. 586
Ein Sozialhilfebezieher kann unter besonderen Voraussetzungen lebzeitig geschontes Vermögen haben. Die Privilegierung von Einkommen findet nach den oben dargestellten Schontatbeständen ("normative Schutzschirme") statt.
Geschütztes Vermögen wird in § 90 SGB XII definiert. § 90 SGB XII zählt zunächst die Fälle des gegenständlichen Schonvermögens auf. Geschont ist aber auch das Vermögen des Sozialhilfebeziehers, dessen Einsatz oder Verwertung nach § 90 Abs. 3 SGB XII für ihn oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Das sind vor allem die Fälle, bei denen vom Sozialhilfebezieher Einkommen angespart oder aus sonstigen Gründen erworben wurde, das nach §§ 82 ff. SGB XII ausnahmsweise ganz oder teilweise nicht zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs herangezogen wird. Dazu gehören z.B.:
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die Nachzahlung einer Grundrente nach dem BVG |
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das angesparte Erziehungsgeld für die Dauer des Förderungszeitraums |
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das Blindengeld wegen fortdauernden allgemeinen Mehrbedarfs |
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angespartes Schmerzensgeld. |
Rz. 587
Dazu gehört z.B. aber auch das angesparte Einkommen, das aus Härtegründen nach § 82 Abs. 3. S. 3 SGB XII und § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII lebzeitig nicht eingesetzt werden muss. Der Schutz des Ein...