Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 490
Ein Bedürftiger, der zu Lebezeiten des Erblassers auf Erbansprüche bzw. Pflichtteilsansprüche verzichtet, sorgt damit dafür, dass ihm im Erbfall ohne ausdrückliche Erbeinsetzung/Begünstigung durch den Erblasser keine verwertbaren Mittel zufließen, die er in der Sozialhilfe einsetzen könnte. Das führt nach der Rechtsprechung des BGH gleichwohl zivilrechtlich nicht dazu, dass ein solcher Verzicht generell den Makel der Sittenwidrigkeit zivilrechtlich in sich trägt.
Rz. 491
Der BGH hat seine Entscheidung damit begründet, dass bei Abgabe der Verzichtserklärung lediglich eine Erwerbschance bestehe. Die Verneinung der Sittenwidrigkeit von Pflichtteilsverzichten behinderter Sozialleistungsbezieher sei außerdem bereits in der Rechtsprechung des BGH zum Behindertentestament angelegt:
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Grundsätzlich können danach alle im Erbrecht vom Gesetz bereitgestellten Gestaltungsinstrumente ausgeschöpft werden. |
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Bei nachteiligen Wirkungen zu Lasten der Allgemeinheit ist nicht die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch besondere Gründe im Einzelfall zu rechtfertigen, sondern positiv festzustellen und zu begründen, gegen welche übergeordneten Wertungen das Rechtsgeschäft verstößt und weshalb seine Wirksamkeit nicht hingenommen werden kann. |
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Für Dritte mittelbar durch das Rechtsgeschäft verursachte nachteilige Wirkungen (Reflexe) sind von diesem grundsätzlich hinzunehmen und berühren die Wirksamkeit des Geschäftes im Regelfalle nicht. |
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Es bedarf gesetzlicher Regelungen, wenn Nachteile Dritter im konkreten Fall bestätigt oder ausgeglichen werden sollen. |
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Der Erbrechtsgarantie des Art. 14 GG ist auch ein Gegenstück im Sinne einer "negativen Erbfreiheit" zu entnehmen. Es gibt keine Pflicht zu erben oder sonst etwas aus einem Nachlass anzunehmen. |
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Es gibt für die Tragung der besonderen Lasten, die mit der Erziehung und Betreuung behinderter Kinder verbunden sind, ein gesetzliches System im Sozialrecht, das den Zugriff auf Eltern als Unterhaltsschuldner weitgehend ausschließt und der Allgemeinheit aufbürdet. Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der darin liegende Familienlastenausgleich Vermögen und Einkommen der Eltern nur lebzeitig schonen wolle. Dafür soll auch das "beredte Schweigen" des Gesetzgebers in den letzten Jahrzehnten sprechen. |
Rz. 492
Der Verzicht auf das Pflichtteilsrecht unter Lebenden nach § 2346 Abs. 2 BGB durch einen behinderten Eingliederungshilfebezieher vor Überleitung nach § 93 SGB XII ist danach dem Grunde nach zivilrechtlich höchstrichterlich entschieden. Nur noch vereinzelt wird diskutiert, ob die Wirksamkeit eines Pflichtteilsverzichtes durch ein behindertes Kind auch dann greift, wenn ein Totalverzicht gegenüber beiden Elternteilen erklärt wird. Gleichwohl sind damit nicht alle Fragen geklärt.