Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 199
Fallbeispiel 26: Die bedürftige Erbin und die Grundsicherung nach SGB XII
Die dauerhaft voll erwerbsgeminderte 50-jährige Tochter T bezieht Grundsicherungsleistungen nach §§ 41 ff. SGB XII. Sie hat einen Regelbedarf von 446 EUR. (Stand 1.1.2021) Sie hat einen Bedarf für Unterkunft/Heizung und Warmwasserpauschale in Höhe von insgesamt 341 EUR (Gesamt 787 EUR).
Alternative 1: Sie erbt nach ihrem Vater aufgrund gesetzlicher Erbfolge 3.000 EUR.
Alternative 2: Wie wäre es zu beurteilen, wenn die Tochter statt der 3.000 EUR von ihrem Vater 30.000 EUR geerbt hätte?
Rz. 200
§ 19 Abs. 2 SGB XII ist die Einstiegsnorm zur Grundsicherung nach den §§ 41 ff. SGB XII. §§ 42, 42a SGB XII bestimmen die Bedarfe, u.a. die Leistungen nach § 28 SGB XII (Regelbedarfsstufe) und § 35 SGB XII (Unterkunft und Heizung). Durch den Erbfall kommt es für die Sozialhilfebezieherin, die 3.000 EUR erbt, zum Zufluss von Einkommen (§§ 82 ff. SGB XII), da sie Erbin im Bedarfszeitraum wurde. Ein bereits laufender Anspruch wird rechtswidrig und muss wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn nicht ausnahmsweise Nichtanrechnungsvorschriften des SGB XII oder andere "Schutz-Normen" zum Einsatz kommen. Die Erbschaft ist im Bedarfszeitraum angefallen und somit ist sie Einkommen im Sinne von §§ 82 ff. SGB XII. Die Erbschaft wird als "bereites" Mittel aber erst mit dem konkreten Zufluss bedarfsdeckend angerechnet (Faktizitätsprinzip/Gegenwärtigkeitsprinzip).
Rz. 201
Falllösung Fallbeispiel 26 Alternative 1:
Der Zufluss der 3.000 EUR wird gem. § 82 Abs. 7 SGB XII als einmalige Einnahme berücksichtigt. Einmalige Einnahmen, bei denen für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der Einnahme erbracht worden sind, werden ab dem Folgemonat berücksichtigt. Einmalige Einnahmen sind auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu verteilen und mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen.
Wenn der Betrag auf sechs Kalendermonate zu verteilen ist, so ergäbe sich daraus ein Betrag von monatlich 500 EUR, der – vereinfacht gesprochen – als Einkommen zu berücksichtigen ist. Damit bleibt ein sozialhilferechtlich ungedeckter Bedarf. Die Prüfung folgt nach § 82 SGB XII und seiner Durchführungsverordnung. Davon sind nach § 82 SGB XII Einkommensbereinigungen vorzunehmen. Schoneinkommen ist dem SGB XII wie dem SGB II aber dem Grunde nach fremd. Das Geld wird angerechnet.
Rz. 202
Falllösung Fallbeispiel 26 Alternative 2:
Erbt die Tochter im Bedarfszeitraum 30.000 EUR, so sind auf jeden Monat 5.000 EUR zu verteilen, so dass der Leistungsanspruch komplett wegfällt. Das, was nach sechs Monaten nicht verbraucht ist, wandelt sich in Vermögen nach § 90 SGB XII um, weil es nur einen Verteilzeitraum gibt. Standen dem Leistungsberechtigten in dem vorangegangenen Bedarfszeitraum nämlich Mittel zur Verfügung, die er als Einkommen erhalten hat und wurden diese nicht vollständig verbraucht, so waren diese Mittel in den nachfolgenden Bedarfszeiträumen schon nach der Rechtsprechung des ursprünglich zuständigen Bundesverwaltungsgerichts im SGB XII als Vermögen zu behandeln. Dies ist nun in § 82 Abs. 7 SGB XII gesetzlich geregelt. Dann muss nach § 90 SGB XII geprüft werden, inwieweit eine Verschonung der Anrechnung des Vermögens in Betracht kommt. Der "kleine" Barbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII beträgt lediglich 5.000 EUR, so dass die Erbin auch in der Folgezeit zunächst nicht mehr bedürftig sein wird, es sei denn der Barbetrag wäre ausnahmsweise höher anzusetzen (vgl. dazu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII) oder man würde nach § 90 Abs. 3 SGB XII eine Härte bejahen.