Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 208
Neben dem Einkommen hat der Hilfesuchende im SGB XII nach § 90 Abs. 1 SGB XII sein verwertbares Vermögen einzusetzen, soweit es nicht ausdrücklich normativ geschont ist.
Prüfungsschema Vermögen:
Die Prüfung, ob und inwieweit Vermögen bei der Prüfung der Hilfebedürftigkeit nach dem SGB XII als zur Verfügung stehende Bedarfsdeckungsmöglichkeit zu berücksichtigen ist, erfordert Feststellungen darüber,
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über welche Vermögensgegenstände |
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mit welchem Verkehrswert die hilfesuchende Person verfügt und |
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ob diese Vermögensgegenstände verwertbar sind |
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ob ihre Verkehrswerte die Vermögensfreibeträge übersteigen |
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ob die Vermögensgegenstände als Schonvermögen nicht zu berücksichtigen sind und |
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ob die zu berücksichtigenden Vermögensgegenstände in absehbarer und angemessener Zeit verwertet werden können. |
Rz. 209
Grundsätzlich knüpft § 90 SGB XII an die tatsächliche und rechtliche Verwertbarkeit des Vermögens an. § 90 SGB XII nimmt von dem an sich verwertbaren Vermögen sodann in Abs. 2 einzelne Vermögenswerte aus, von deren Verwertung das Sozialamt die Sozialhilfegewährung nicht abhängig machen darf. Wenn Erben das Glück haben, vor Ihrer Sozialhilfebedürftigkeit zu erben, dann stellt die Erbschaft bzw. der Nachlass nach der Rechtsprechung des BSG Vermögen im Sinne des SGB XII dar. Aus Einkommen kann aber auch Vermögen werden. Auch dann geht es darum, ob der Zufluss ggf. geschont werden kann durch die Regeln des § 90 SGB XII.
Rz. 210
Generell ist das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen (§ 90 Abs. 1 SGB XII), nach der Begrifflichkeit des BSG "zu versilbern".
Hinweis
Zu den Verwertbarkeitsfragen wird ergänzend auf die Ausführungen zu § 12 Abs. 1 SGB II hingewiesen, da insoweit gleiche Grundsätze gelten.
Zum verwertbaren Vermögen zählen alle beweglichen und unbeweglichen Güter und Rechte in Geld und Geldeswert, soweit sie nicht normativ dem Einkommen zuzurechnen sind. Umfasst sind immer Rechte aller Art, die einen Vermögenswert derart verkörpern, dass mit ihrem Erlös, hilfsweise durch Nutzung, der Bedarf des Hilfesuchenden abgedeckt werden kann.
Rz. 211
Zu berücksichtigen ist aber nur das tatsächlich zur Bedarfsdeckung bereite Vermögen. Solange zwischen den Erben ein Streit über den Erbanteil geführt wird und deshalb der Erbschein noch nicht erteilt werden konnte, steht nicht fest, ob Vermögen tatsächlich vorhanden ist: "Eine Verwertungsmöglichkeit durch Verkauf oder Beleihung ist dann in absehbarer Zeit nicht möglich. Dies gilt auch für den Anspruch auf Erbauseinandersetzung, der ohne Klärung der Frage, wer zu welchem Anteil geerbt hat, nicht zeitnah geltend gemacht werden kann." Eine fiktive Zurechnung von Vermögen darf nicht erfolgen.
Hinweis
Kehrseite des an dieser Stelle wirkenden Faktizitätsprinzips ist, dass von Vermögen solange ausgegangen wird, wie es tatsächlich vorhanden ist. Selbst während eines andauernden Streites über die Verwertbarkeit wird nicht von fiktivem Verzehr ausgegangen. Das Sozialamt darf dem Hilfesuchenden Monat für Monat dessen Vermögen erneut entgegenhalten. Es muss also unter dem Vorbehalt des Ausgangs des Rechtsstreites vorläufig verwertet werden oder es muss mit dem Soziallhilfeträger eine Vereinbarung über das Prozedere im folgenden Bewilligungszeitraum getroffen werden.
Rz. 212
Das Vermögen umfasst die Summe aller aktiven Vermögenswerte mit seinem Verkehrswert. Der Verkehrswert von Vermögen ist der erzielbare Erlös im gewöhnlichen Geschäftsverkehr. Bei Vermögen in Form von Bar- bzw. Buchgeld entspricht der Verkehrswert dem Nennwert.
Rz. 213
Es gibt keine Saldierung von Aktiva und Passiva, sondern es ist auf den konkreten Vermögensgegenstand abzustellen. Eine Bilanzierung/Saldierung auf der Stufe des zu ermittelnden Vermögens scheidet deshalb im Grundsatz aus. Die Absicht, das Vermögen zur Schuldentilgung verwenden zu wollen, schließt dessen Berücksichtigung nicht aus. Ausnahmsweise finden Verbindlichkeiten, die unmittelbar mit dem Vermögenserwerb entstanden oder auf andere Art und Weise mit ihm verknüpft sind, Berücksichtigung, wenn es sich um aktuelle Zahlungsverpflichtungen handelt. "Die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Feststellung der vorhandenen Vermögenswerte ist allenfalls geboten, wenn eine Verbindlichkeit unmittelbar auf dem fraglichen Vermögensgegenstand (z.B eine auf ein Grundstück eingetragene Hypothek) lastet, da der Vermögensgegenstand in diesem Fall nicht ohne Abzüge veräußert werden kann."
Das gilt selbstverständlich nicht, wenn die Darlehen und die sie besichernden Grundpfandrechte auf einem Scheingeschäft beruhen.
Rz. 214
Vom Verbot der Saldierung ist die tatsächliche Verringerung des Vermögens durch Schuldentilgung im Sinne einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse abzugrenzen. Anders als bei der der Einkommensanrechnung gilt hier nicht das Monatsprinzip, sondern die taggenaue Betrachtungsweise.