Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 409
Wenn der Sozialhilfeträger den Bedarf eines Hilfesuchenden mit den Mitteln des SGB XII decken muss, weil der Antragsteller dem Grunde nach vorhandene – aber nicht "bereite" – Mittel nicht zur eigenen Bedarfsdeckung aktivieren kann, handelt es sich sozialhilferechtlich um einen "Störfall".
Das Mittel zur Beseitigung der Leistungsstörung im sozialhilferechtlichen Leistungsverhältnis des SGB XII – gleich ob es sich um einen Schenkungsrückforderungsanspruch, um Zahlungsansprüche aus Nießbrauch, Altenteil etc. handelt – ist die Überleitung, die sog. Magistralzession. § 93 SGB XII stellt dem Träger der Sozialhilfe damit ein rechtliches Instrumentarium zur Verfügung, das ihn in die Lage versetzt, durch Eintritt in die Gläubigerposition den vom Gesetz gewollten Vorrang der Verpflichtung eines Dritten nachträglich durch schriftliche Anzeige an diesen bis zur Höhe seiner Aufwendungen wiederherzustellen.
Rz. 410
Die Überleitung wirkt wie eine Abtretung. Soweit die Überleitung noch nicht stattgefunden hat, hat auch noch kein Anspruchsübergang und kein Rechtsträgerwechsel stattgefunden. Die Überleitungsermächtigung zielt auf die Herstellung derjenigen Haushaltslage beim Sozialhilfeträger ab, die bestünde, wenn der Anspruch des Hilfeempfängers schon früher erfüllt worden wäre. Das gilt auch dann, wenn der eigentliche Hilfeempfänger verstirbt. Die mit der Überleitungsanzeige bezweckte Rechtslage wird nicht etwa erst durch die Überleitungsanzeige geschaffen. Sie besteht bereits von vornherein materiell-rechtlich, soweit Sozialhilfe vom Träger an den Hilfebedürftigen geleistet wird. Die Überleitungsanzeige als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt konkretisiert und individualisiert die vorbestehende Leistungspflicht lediglich, was auch nach dem Tode des Hilfeempfängers noch möglich ist. Auf die Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe für den Todesfall des Hilfeempfängers wird zugunsten von dessen Erben nicht verzichtet.
Durch die Überleitung entsteht ein sog. "sozialhilferechtliches Regress-Dreieck":
Rz. 411
§ 93 SGB XII ist unübersichtlich und schwer zu erfassen. Es geht um die Frage,
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was kann |
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wofür (d.h. für welche Leistung) |
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für wen (§ 93 Abs. 1 S. 2 SGB XII bezieht auch die Leistungen des 3. und 4. Kapitels an den nicht getrenntlebenden Ehegatten/Lebenspartner und an minderjährige Kinder ein) |
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von wem ("Drittschuldner") |
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ab wann |
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in welchem Umfang |
vom Sozialhilfeträger geltend gemacht werden, weil es der Hilfesuchende selbst hätte einsetzen müssen, wenn es im Zeitpunkt der Leistung durch den Sozialhilfeträger ein zu Bedarfsdeckung "bereites" Mittel gewesen wäre.
Rz. 412
Prüfungsschema:
Zivilrechtliche Prüfung:
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Es gibt einen Anspruch des Leistungsempfängers oder – wenn Leistungen nach dem 5.–9. Kapitel des SGB XII erbracht werden – bezieht sich die Überleitung auch auf einen Anspruch, den ein Elternteil, ein nicht getrenntlebender Ehegatten oder Lebenspartner des Leistungsberechtigten gegen einen Dritten, der nicht Leistungsträger ist, hat. |
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Der Anspruch ist kein Unterhaltsanspruch (sonst § 94 SGB XII). |
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Der Anspruch ist grundsätzlich überleitungsfähig. |
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Der Anspruch muss nur mutmaßlich bestehen (Negativevidenz). |
Sozialhilferechtliche Prüfung – materielle Voraussetzungen:
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die leistungsberechtigte Person = endgültiger (str.) Leistungsempfang einer SGB XII-Leistung |
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rechtmäßige Leistung nach SGB XII (str.) |
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Personenidentität (Gläubiger und Leistungsberechtigter oder Personen der Einsatzgemeinschaft) |
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zeitliche Deckungsgleichheit – Zeitraumidentität von Leistungsgewährung und Innehabung eines fälligen Anspruchs |
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kausale Verknüpfung von Hilfegewährung und nicht erbrachter Drittforderung = Prüfung von Ausschlusstatbeständen |
Sozialhilferechtliche Prüfung – formelle Voraussetzungen
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Schriftform = schriftliche Anzeige
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an den Leistungsberechtigten |
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an den Anspruchsschuldner |
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Anhörung |
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inhaltliche Bestimmtheit |
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Ermessungsentscheidung |