Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 480
Vor oder bei dem Anfall eines Zuflusses aus einem Erbfall stellt sich einem Begünstigten die Frage danach, was man ganz konkret tun kann, um zu erreichen, dass dieser Zufluss trotz Bezuges von Leistungen nach dem SGB XII einen Vorteil bildet und nicht bedarfsmindernd angerechnet wird. Die Literatur sieht den Bedürftigen – zusammen mit dem erbrechtlich versiert gestaltenden Erblasser – erfolgreich, auf der "Verzichtsavenue" promenieren und dem "Ausschlagungsboulevard" flanieren mit Aussicht auf "Erweiterung dieses Straßennetzes um weitere Prachtstraßen" wie die "Pflichtteilssanktionsklauselgasse", falls der BGH seine Rechtsprechung zur generellen Überleitbarkeit von Pflichtteilsansprüchen noch einmal korrigiert. Betroffene fragen nach den Auswirkungen, wenn sie den erbrechtlichen Zufluss verprassen und/oder verschenken.
In jedem Fall geht es darum, dass die Leistungspflicht der Solidargemeinschaft begründet oder aufrechterhalten bleiben soll. Und es ist fraglich, ob dies rechtlich zu akzeptieren ist.
Rz. 481
Nach den oben dargestellten Strukturprinzipien kollidiert ein solches Verhalten mit dem Prinzip der Selbsthilfeverpflichtung und wird als "dolose Solidaritätsprovokation" diskutiert. Grundsätzlich erhält nach § 2 SGB XII Sozialhilfe nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Die Realisierung von wirtschaftlichen Mitteln ist eine Form der Selbsthilfemöglichkeit. Muss der Bedürftige daher mit Verweigerung von Sozialhilfe oder mit Sanktionen rechnen, wenn er ausschlägt? Oder sich die erlangten Mittel nicht über eine adäquate Zeit einteilt? Muss die Solidargemeinschaft auch für den geschickten Gestalter, z.B. beim Pflichtteilsverzicht, aufkommen? Oder gibt es sozialrechtliche Reaktionen auf ein solches Verhalten? Gehen Zivilrecht und Sozialrecht konform in seinen Reaktionen?
Rz. 482
Die Antwort auf die Frage lässt sich aus mehreren rechtlichen Perspektiven diskutieren.
Wenn der Hilfesuchende verfügt – in der Regel durch Willenserklärung/Rechtsgeschäft und nicht einfach nur durch Konsum –, dann ist für die Beurteilung der Wirksamkeit dieser Rechtshandlung zunächst die zivilrechtliche Seite angesprochen. Dort wird von der h.M. regelhaft und nach üblichem Muster geprüft, ob das Rechtsgeschäft wirksam ist bzw. wirksam zustande gekommen ist oder ob es nichtig oder unwirksam ist. Ist ein Verstoß – z.B. gegen § 138 BGB zu konstatieren- dann ist das Rechtsgeschäft nichtig und kann nicht berücksichtigt werden. Es ist dann auf der sozialhilferechtlichen Seite von einer unwirksamen Rechtsgestaltung auszugehen.
Rz. 483
Möglicherweise ist das Problem aber auch unmittelbar sozialhilferechtlich zu lösen. Die Auswirkungen eines Rechtsgeschäftes (oder eines Handelns), mit dem sich der Hilfesuchende existentiell bedürftig gemacht hat, beantwortet sich aus der finalen Ausrichtung des Sozialhilferechts und seiner Ausgestaltung. Das sozialhilferechtliche Störfallinstrumentarium hat bei Verletzungen des Nachranggrundsatzes m.E. vor § 138 BGB Vorrang. Mustergültig hat das BSG den Prüfungsmodus bei Gestaltungen oder Handlungen, mit denen die Leistungsfähigkeit des Sozialhilfesuchenden beseitigt wird, in der Bestattungsvorsorgevertragsentscheidung vorgemacht. Mit der Rechtsprechung des BVerfG hat das BSG auch in seinen jüngsten Entscheidungen immer wieder betont, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch bestehe, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten seien. Dieses Prinzip wird deutlich am Beispiel des Verschenkens. Es wird im SGB XII ausdrücklich nicht unter § 138 BGB subsumiert und sozialhilferechtlich nicht als Verstoß gegen das Selbsthilfeprinzip gesehen, sondern das Verschenken löst den Herausgabeanspruch des § 528 BGB wegen Verarmung des Schenkers aus und der Anspruch wird nach § 93 SGB XII übergeleitet. Gerade auch doloses Verhalten wird damit repariert und der Nachrang wiederhergestellt.
Rz. 484
Nur in den verbleibenden Fällen stellt sich die Frage, ob der Sozialleistungsträger wegen "Obliegenheitsverletzungen" des Hilfebedürftigen nunmehr Kostenersatz geltend machen oder in anderer Weise auf den Verstoß gegen das Selbsthilfegebot reagieren kann. Die Schwierigkeit bei dieser Prüfung ist die saubere Abgrenzung der rechtshindernden Zivilrechtsnorm des § 138 BGB zu den sozialrechtlichen Folgebeseitigungsnormen der §§ 26 Abs. 1 Nr. 1, 103 SGB XII, die auf die absichtliche bzw. vorsätzliche Herbeiführung des Leistungsfalles abstellen.
Rz. 485
Ihre saubere Abgrenzung gegeneinander ist bisher nicht immer gelungen. Zum Teil hat die höchstrichterliche Rechtsprechung den Weg aber vorgezeichnet, in dem sie die zivilrechtliche Gestaltung unbeanstandet gelassen, auf die soz...