Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 551
Ob ein Verhalten sozialwidrig ist, ist nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles zu beurteilen. Die Ausschlagung einer überschuldeten Erbschaft ist immer sozialadäquat. Die Ausschlagung einer Erbschaft, die mit einer Anzahl erheblicher oder durchweg nicht zu leistender Beschwerungen verbunden ist, ist ebenfalls sozialadäquat. Die Ausschlagung eines Erbes durch eine Mutter, um ihren Kindern als Ersatzerben eine dauerhafte Wohnstatt bieten zu können, wird man ebenfalls nicht als sozialwidrig ansehen können.
Soweit es um die Inanspruchnahme von (Gestaltungs-)rechten geht, die zivilrechtlich zulässig in Anspruch genommen werden können, scheinen Kostenersatzansprüche ebenfalls eher nicht in Betracht zu kommen. Das SG Duisburg hält die Ausübung eines Gestaltungsrechtes in einem Nebensatz ohne Begründung für sanktionslos, in einer anderen Entscheidung eine Ausschlagung mit der Rechtsprechung des BGH nicht für sittenwidrig.
Rz. 552
Fallbeispiel 41: Die Ausschlagung
Die sozialhilfebedürftige M erbt nach ihrem Bruder 100.000 EUR. Sie will mit dem Nachlass ihres Bruders, mit dem sie lebenslang im Streit lag, nichts zu tun haben. Sie schlägt zugunsten ihrer Tochter aus.
Der Sozialhilfeträger leistet mangels "bereiter" Mittel weiter, hält die Ausschlagung aber mindestens für sozialwidrig, weil die M sich sehenden Auges in der Sozialhilfebedürftigkeit gehalten und damit sogar noch ihre nicht bedürftige Tochter begünstigt habe. Der Sozialhilfeträger macht nun Kostenersatz nach § 103 SGB XII geltend.
Rz. 553
Falllösung Fallbeispiel 41:
Der Kostenersatz nach § 103 SGB XII richtet sich gegen die ohnehin bedürftige M und es fragt sich, welchen Nutzen sich das Sozialamt von der Geltendmachung eines Kostenersatzanspruches verspricht. Der Nutzen ergibt sich aus § 26 Abs. 2 S. 1 SGB XII, wonach der Sozialhilfeträger die zu gewährenden Leistungen bis auf das zum Leben jeweils Unerlässliche mit Kostenersatz nach § 103 SGB XII aufrechnen kann. Diese Aufrechnungsmöglichkeit ist auf drei Jahre beschränkt. Erst ein neuer Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Kostenersatz kann erneut aufgerechnet werden.
Rz. 554
In der Rechtsprechung und Literatur wird immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Ausschlagung zu einem Kostenersatzanspruch nach § 103 SGB XII führen kann. Reale Fälle lassen sich in der Rechtsprechung – jedenfalls zum SGB XII – aber nicht finden. Geht man davon aus, dass die Aufrechnung über die Dauer von maximal drei Jahren mit einem Wert von 20 bis 30 % des jeweils aktuellen Regelbedarfs erfolgen darf – also z.B. nicht auf die gewährte Hilfe zur Pflege oder sonstige Sachleistungen –, so ist der Kostenersatzanspruch ein relativ "stumpfes Schwert" und hat mehr symbolischen "Bestrafungs-Charakter".
Rz. 555
Die Ausschlagung an sich ist zivilrechtlich möglich und wirksam. Ob sie als "quasi-deliktisches" Verhalten im Sinne des § 103 SGB XII zu werten ist, kommt auf die Besonderheiten des Einzelfalles an, also auf die Schwere und Dauer des Streits mit dem Bruder und der Motive, der Tochter die Erbschaft zukommen zulassen und nicht auch mit Wirkung für die Tochter ausgeschlagen zu haben.
In diesem Kontext kann eine Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg hilfreich sein, bei der es zwar nicht um eine Ausschlagung ging, aber die bestätigt hat, dass eine Erblasserin wegen eines erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Bruder keine Zahlungen aus der nach ihm stammenden Erbschaft haben wollte und diese daher sofort weitergeschenkt hat.