Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 186
Pflichtteilsansprüche entstehen, weil die Testierfreiheit dem Erblasser die Freiheit gewährt, die gesetzliche Erbfolge abzuändern und selbst die engsten Familienangehörigen von der Erbfolge auszuschließen. Als Ausgleichsmechanismus gewährt das Gesetz nahen Familienangehörigen auch gegen den Willen des Erblassers einen Mindestanteil am Nachlass, der nur unter sehr engen Voraussetzungen entzogen werden kann. Pflichtteilsansprüche entstehen in der in Form von
Der Pflichtteilsanspruch, der immer ein schuldrechtlicher Anspruch auf Zahlung eines Geldbetrages ist, beläuft sich auf die Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2302 Abs. 1 BGB). Nach § 2317 BGB entsteht der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall kraft Gesetzes.
Hinweis
Die Anrechnung von Mitteln aus Pflichtteilsansprüchen spielt im Zusammenhang mit sog. Behindertentestamenten eine besondere Rolle, weil Pflichtteilsstrafklauseln in einem Testament kein geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels eines solchen Testaments sind. Die Anordnung einer solchen Klausel für das Kind mit Behinderung wird heute als geradezu typischer Fehler durch unkritische Übernahme von Mustertexten insbesondere des Berliner Testaments gesehen. Ein Teil der Literatur versucht diesen Fehler wenigstens insoweit zu heilen, als sie durch Auslegung oder ergänzende Auslegung dem überlebenden Ehegatten ein Änderungsrecht zuzugestehen versucht.
Rz. 187
Der Pflichtteilsrestanspruch füllt eine Erbeinsetzung unterhalb der Pflichtteilsquote auf (§ 2305 BGB).
Der Pflichtteilsergänzungsanspruch betrifft lebzeitige Zuwendungen des Erblassers an Dritte, die es in vielfältigsten Ausprägungen und Vertragstypen gibt. Der Gesetzgeber hat den Anspruch auf eine Mindestteilhabe am Nachlass des Erblassers gegen eine lebzeitige Aushöhlung des Erbes durch den Pflichtteilsergänzungsanspruch weitgehend "wasserdicht" gemacht (§§ 2325 ff. BGB). Er ist ein außerordentlicher Pflichtteilsanspruch
▪ |
eines Pflichtteilsberechtigten (§ 2303 BGB) |
▪ |
auf Zahlung einer Ergänzung zu seinem Pflichtteil |
▪ |
für den Fall, dass der Erblasser in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall Schenkungen an Dritte gemacht hat. |
Wertet man Rechtsprechung und Literatur – die zumeist aus dem SGB II stammen – aus, so kommt man hinsichtlich der Rechtsqualität solcher Ansprüche nicht zu einem einheitlichen Bild. Dabei kann man immer nur die Fälle miteinander vergleichen, bei denen der Erbfall jeweils vor oder nach dem Bedarfs-/Antragszeitraum (für die Grundsicherung) stattgefunden hat, denn die Pflichtteilsansprüche entstehen – ohne Ausschlagungsrecht – immer zeitgleich mit dem Erbfall. Das darf allerdings nach der Rechtsprechung nicht dazu verführen anzunehmen, der Pflichtteilsanspruch sei nach den Regeln des "normativen" Erbfall-Zuflusses zu bestimmen.
a) Erbfall vor dem Bedarfs-/Antragszeitraum – Pflichtteilsanspruch vor dem Bedarfszeitraum ausgezahlt
Rz. 188
Unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH, wonach der Pflichtteilsanspruch kraft Gesetzes nach § 2317 Abs. 1 BGB bereits mit dem Erbfall als Vollrecht entsteht, geht das BSG für das SGB II davon aus, dass ein Pflichtteilsanspruch aus § 2303 Abs. 1 BGB zum Vermögen gehören kann. Dem folgt die Literatur. Und das gilt auch für den Pflichtteilsrest- bzw. den Pflichtteilsergänzungsanspruch. Insoweit findet hier lediglich die reine modifizierte Zuflusstheorie Anwendung. Wird der Anspruch noch vor dem Bedarfs-/Antragszeitraum (für Grundsicherung) erfüllt, so ändert sich die Vermögensqualität nicht und § 90 SGB XII findet Anwendung.
Rz. 189
Eine Erfüllung anders als in Geld sieht das Gesetz nicht vor, deshalb ist die z.T. aufgeworfene Frage, was passiert, wenn der Anspruch anders als in Geld erfüllt wird, an dieser Stelle noch nicht relevant. Auch wenn der Berechtigte sich erfüllungshalber auf Sachwerte einlässt, so stellen...