Dr. Gudrun Doering-Striening
a) Kein Verschulden im Sinne des § 254 BGB
Rz. 542
Mit der Entscheidung des BVerwG aus dem Jahr 1973, bei dem es noch um solch bescheidene Dinge wie eine Beihilfe für einen Wintermantel, ein Winterkleid und eine Strickjacke ging, ist klargestellt, dass das Sozialhilferecht eine Verschuldensregel vergleichbar § 254 BGB nicht kennt und dass das unwirtschaftliche Verhalten von Hilfebedürftigen kein Fall auf der Anspruchsebene des Sozialleistungsverhältnisses ist.
Zitat
"Ist jedoch die tatsächliche Lage des Hilfesuchenden maßgebend, so kommt es letztlich nicht darauf an, ob …, sondern darauf, ob der bestehende Bedarf im entscheidungserheblichen Zeitpunkt tatsächlich befriedigt war. … Steht jedoch fest, dass der Hilfesuchende das Geld tatsächlich nicht zur Befriedigung eines vorhandenen Bedarfs verwendet hat, so ist es bedeutungslos, ob ein zur Verfügung gestellter Betrag an sich ausreichend gewesen wäre, den vorhandenen Bedarf zu befriedigen. Namentlich gilt das auch für Fälle unwirtschaftlichen Verhaltens. Notfalls hat die (Widerspruchs-)behörde nachzubewilligen oder durch Sachleistung die Bedarfsbefriedigung sicherzustellen."
Rz. 543
Angesprochen ist das Leistungsstörungsrecht in der Form des Sozialhilferegresses. Gleichwohl bedarf es seit der Entscheidung des BVerwG aus 1973 bis hin zum BVerfG immer wieder der neuen höchstrichterlichen Bestätigung, dass existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind.
Auf der sicheren Seite ist der sich sehenden Auges bedürftig Machende deswegen aber nicht. Grundsätzlich ist es – auch nach der Rechtsprechung des BGH – trotz des Grundsatzes der negativen Erbfreiheit möglich, die Ausübung dieser Freiheit sozialrechtlich mit Sanktionen zu belegen. Deshalb greift das Argument, dass sich der Verzichtende nur der erbrechtlich zulässigen Gestaltungselemente bedient, nicht. Das SGB XII hat ein eigenes Störfallinstrumentarium, um auf ein solches unerwünschtes – den Grundsatz des Nachrangs massiv tangierenden – Verhalten zu reagieren.
Rz. 544
Davon geht auch die erbrechtliche Rechtsprechung aus. So hat der BGH in seiner Entscheidung zum Pflichtteilsverzicht im Rahmen des SGB XII ausgeführt: "Der Verzicht auf eine Erwerbsquelle ändert nichts an der Verpflichtung, vorhandenes Vermögen und vorhandene Einkünfte einzusetzen. Die pflichtwidrige Herbeiführung der eigenen Bedürftigkeit kann innerhalb des sozialrechtlichen Regelungssystems mit Leistungskürzungen sanktioniert werden."
Es gelten die Kostenersatzregeln der §§ 103, 41 Abs. 4 SGB XII und die Leistungsherabsetzungsregeln des § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII. Diese Ersatzverpflichtungen können auch zur Anwendung kommen, wenn zivilrechtlich zulässige Gestaltungsmöglichkeiten zum Eintritt oder zum Fortbestehen von Sozialhilfebedürftigkeit führen: "Aus der verneinten Sittenwidrigkeit im zivilrechtlichen Sinn wird man mithin nicht ohne weiteres immer auch auf fehlende Sozialwidrigkeit schließen können; für die Beurteilung wird vielmehr auf die Gegebenheiten des Einzelfalles abzustellen sein."
b) Leistungsversagung wegen vorsätzlichen Handelns § 41 SGB XII
Rz. 545
Für eine Leistungsverweigerung aufgrund verschuldeter Bedürftigkeit gibt es im SGB XII nur § 41 SGB XII. Wer in den letzten zehn Jahren die Bedürftigkeit vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat, hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Dieser Leistungsausschluss bezieht sich somit ausschließlich auf Grundsicherungsleistungen und ist ein altes Relikt aus der Zeit, als Grundsicherung in einem eigenen Gesetz, nämlich dem GSiG geregelt war: "Auf diese Weise soll eine missbräuchliche Inanspruchnahme der Leistungen verhindert werden. Hierunter fallen beispielsweise solche Personen, die ihr Vermögen verschleudert oder dieses ohne Rücksicht auf die Notwendigkeit der Bildung von Rücklagen für das Alter verschenkt haben." Es sollten Schenkungen und Altenteilsverträge eingedämmt werden, soweit sich daraus eine sozialhilferechtliche Bedürftigkeit ergibt. Damit ging der Gesetzgeber des GSiG weiter als der BGH, der in einer Entscheidung zur Wegzugsklausel in Übertragungsverträge...