Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 215
Der Begriff der Verwertbarkeit ist ein rein wirtschaftlicher und beurteilt sich sowohl nach den tatsächlichen als auch nach den rechtlichen Verhältnissen unter Berücksichtigung zeitlich absehbarer Realisationsmöglichkeiten. Der Hinweis auf theoretisch in Betracht kommende Verwertungsmöglichkeiten, wie z.B. der Hinweis auf die Verwertung eines Erbteils durch Verkauf (§§ 2371, 2033, 1922 Abs. 2 BGB) oder Verpfändung reicht nicht aus. Es muss geprüft werden, ob eine Verwertung tatsächlich möglich ist.
Rz. 216
Nach der Rechtsprechung enthält der Begriff der Verwertbarkeit neben der tatsächlichen auch eine zeitliche Komponente. Die Verwertung muss für den Betroffenen einen Ertrag bringen, durch den er, wenn auch nur kurzfristig, seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Es müssen daher auch immer Feststellungen zum Zeitraum einer möglichen Verwertung getroffen werden. Verwertbar ist ein Vermögensgegenstand oder ein Vermögensrecht immer nur dann, wenn er innerhalb einer bei Antragstellung feststehenden Zeitspanne durch autonomes Handeln des Leistungssuchenden für den Lebensunterhalt verwendet oder der Geldwert durch Verbrauch, Verkauf, Beleihung, Vermietung oder Verpachtung oder sonstige Nutzung für den ungedeckten Bedarf des Hilfesuchenden nutzbar gemacht werden kann.
Zitat
"Von einer generellen Unverwertbarkeit iS des § 90 Abs. 1 SGB XII ist auszugehen, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt. Maßgebend für die Prognose, dass ein rechtliches oder tatsächliches Verwertungshindernis wegfällt, ist im Regelfall der Zeitraum, für den die Leistungen bewilligt werden."
Rz. 217
Maßgebend für die Prognose, dass ein rechtliches oder tatsächliches Verwertungshindernis wegfällt, ist im Regelfall der Bewilligungszeitraum, für den Leistungen bewilligt werden, also ein Zeitraum von 12 Monaten bei der Grundsicherung nach § 44 Abs. 3 SGB XII.
Hinweis
Ob der Prognosezeitraum im Einzelfall erheblich verlängert werden kann, ist bisher nicht abschließend geklärt. Grundsätzlich wird Verwertbarkeit auch angenommen, wenn der Verwertbarkeitspunkt feststeht. Ob das auch gilt, wenn dieser Zeitpunkt Jahre entfernt liegt, ist offen. Beim BSG ist ein Rechtsstreit rechtshängig, bei dem zu klären ist, ob ein vom Kläger nach § 168 Abs. 3 VVG vereinbarter Verwertungsausschluss für eine privaten Rentenversicherung bis Juni 2025 darauf verwiesen werden kann, dass er damit über "bereite" Mittel verfüge. Dies hat das Sächsische LSG angenommen.
Dafür muss im Vorhinein untersucht werden, ob und welche Verwertungsmöglichkeiten bestehen, die geeignet sind, Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Stets ist der Einzelfall zu betrachten:
Zitat
"Faktische Verwertungshindernisse können sich insbesondere aufgrund von Besonderheiten des Vermögensgegenstands selbst ergeben; so kann ein Verwertungsausschluss insbesondere bei Gegenständen oder Rechten vorliegen, für die sich in absehbarer Zeit kein Käufer finden lassen wird, etwa weil diese aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nicht marktgängig sind und gleichzeitig auch keine andere Verwertung möglich ist. Er kann aber auch aus Besonderheiten in der Person des Vermögensinhabers oder anderen Umständen folgen. So kann sich eine hohe Überschuldung des Hauseigentümers, aber möglicherweise auch eine vertraglich gesicherte Verpflichtung zur Pflege der Eltern, gebunden an eine bestimmte Wohnstätte, als faktisches Verwertungshindernis auswirken. … Eine gesundheitsbedingt fehlende Möglichkeit, aus einem selbst bewohnten Hauseigentum auszuziehen, kann sich nämlich je nach prognostischer Dauer der Unmöglichkeit auf die Marktgängigkeit des Grundstücks ebenso wie auf die Bereitschaft von Kreditinstituten zu dessen Beleihung auswirken. … Dabei beurteilt sich die Frage nach der tatsächlichen Unmöglichkeit des Auszugs, wenn wie hier eine psychische Erkrankung im Vordergrund steht, nach Zumutbarkeitsgesichtspunkten. … Ergibt sich für den streitbefangenen Zeitraum die Unzumutbarkeit eines Umzugs für eine relevante Dauer, käme eine Veräußerbarkeit nur bei Marktgängigkeit eines Grundstücks mit Wohnrecht in Betracht."
Rz. 218
Der Prüfung der zeitlichen Dimension, innerhalb der das Vermögen (voraussichtlich) verwertet werden kann, bedarf es, weil die Leistungen nach dem SGB XII beanspruchende Person, die ihr verwertbares Vermögen nicht in absehbarer und angemessener Zeit verwerten kann, nicht über "bereite Mittel" verfügt. Das gilt auch dann, wenn zwar konkret feststeht, wann über den Vermögenswert verfügt werden kann (Fälligkeit, Kündigung), der Zeitpunkt aber außerhalb eines angemessenen Zeitrahmens liegt, in welchem noch der Einsatz bereiter Mittel angenommen werden kann.
Rz. 219
Das kann z.B. der Fall sein, wenn Miterben bei nur einem Vermögensgegenstand einen freihändigen Kauf verweigern und die deshalb notwendige Auseinandersetzung über die Zwangsversteigerung die Verwertung auf unabsehbare Zeit verzögert. Dabei ken...