Dr. Gudrun Doering-Striening
a) Bausteine des Behinderten- und Bedürftigentestaments
Rz. 257
Im Sozialhilferecht sind besonders die rechtlichen Beschränkungen von Bedeutung, aus denen die klassischen Behindertentestamente "gebaut" werden. Das sind
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die (nicht befreite) Vorerbschaft (§§ 2113 ff. BGB)/Nacherbschaft – oder auch das Vorvermächtnis/Nachvermächtnis – oberhalb des gesetzlichen Pflichtteilsrechtes |
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die Dauertestamentsvollstreckung (§ 2209 BGB) |
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die Verwaltungsanordnungen an den Testamentsvollstrecker (§ 2216 Abs. 2 BGB). |
Diese Verfügungsbeschränkungen können allein oder in Kombination auftreten und den "Zugriff" auf Erbmittel erschweren, bestenfalls verhindern. Das eigentliche Verwertungshindernis entsteht durch die Kombination mit der Dauertestamentsvollstreckung und den komplettierenden Verwaltungsanordnungen.
Die sozialhilferechtliche Kommentarliteratur hält solche Ausgestaltungen z.T. für problematisch, weil es dabei darum gehe, dem Sozialhilfeträger auch die nach dem Tod des Behinderten verbleibenden Mittel zu entziehen.
Hinweis
Bei den nachfolgenden Ausführungen ist ausdrücklich zu beachten, dass sie zwar im Zusammenhang mit den rechtlichen Verfügungshindernissen beim Vermögen im Sinne des § 90 SGB XII abgehandelt werden. Tatsächlich sind die Zuflüsse bei klassischen Behindertentestamenten im SGB XII aber gar kein Vermögen, sondern Einkommen nach §§ 82 ff. SGB XII. Warum?
Alles, was im Bedarfszeitraum zufließt, ist Einkommen. Ebenso werden Forderungen, die vor dem Bedarfszeitraum entstanden sind, zwar als Vermögen, aber im Zeitpunkt ihrer Realisation als Einkommen angesehen.
Erträge aus einem Nachlass, die regelhaft im Bedarfszeitraum ausgezahlt werden, sind folglich Einkommen und nicht Vermögen. Gleichwohl sind die Ausführungen auch für die Frage des einsatzfähigen Einkommens von Bedeutung. Denn Einkommen i.S.v. § 82 SGB XII ist ein Zufluss in Geld oder Geldeswert im Bedarfszeitraum. Etwas, was aber gar nicht "versilberbar" ist und zu Geld gemacht werden kann, kann auch beim Einkommen nicht berücksichtigt werden.
b) (Nicht befreite) Vorerbschaft/Nacherbschaft
Rz. 258
Fallbeispiel 28: Die verdeckte Vor-/Nacherbschaft
T ist Erbin geworden: Einziger Nachlassgegenstand ist eine Immobilie. Der Erblasser hatte verfügt: Alleinerbin wird meine Tochter. Mein alleiniger Nachlassgegenstand ist meine Immobilie in X-stadt. Meine Tochter darf diese Immobilie nur innerhalb ihrer Abkömmlinge weitervererben.
T selbst fürchtet eine zukünftige Heimaufnahme und überträgt die Immobilie ohne wesentliche Gegenleistungen auf ihre Nachbarin N. Kurze Zeit später wird T heimpflegebedürftig und mangels anderer Mittel auch sozialhilfebedürftig. N will sich mit dem Sozialamt über den Schenkungsrückforderungsanspruch einigen. Wo könnte das Problem sein?
Rz. 259
Der Vorerbe ist wahrer Erbe und tatsächlicher Eigentümer des Nachlasses. Trifft der Erblasser – ausdrücklich oder konkludent – keine gesonderten Anordnungen zur Befreiung des Vorerben von den gesetzlichen Beschränkungen der Vorerbschaft, so unterliegt der Vorerben sämtlichen Beschränkungen, die sich aus den §§ 2111–2135 BGB ergeben. In der Praxis wird die nicht befreite Vorerbschaft/Nacherbschaft gerne benutzt bei der Ausgestaltung von Bedürftigentestamenten für behinderte und nicht behinderte Menschen (vgl. dazu ausführlich § 11).
aa) Nicht befreite Vorerbschaft
Rz. 260
Durch die Anordnung einer Vorerbschaft/Nacherbschaft wird der Nachlass mit einer Verfügungsbeschränkung belastet. Der Erblasser kann damit sein Vermögen binden, dem zum Vorerben Berufenen die Nutzungen des Vermögens zukommen lassen und störende Dritte vom Nachlass fernhalten.
Rz. 261
§§ 2113 ff. BGB ordnen an, dass die Verfügungsbefugnis des Vorerben über den Nachlass beschränkt ist. Diese Beschränkung entfaltet ihre (absolute) Wirkung erst mit dem Nacherbfall. Bis dahin sind die Verfügungen des Vorerben auch dem Nacherben gegenüber mit dinglicher Wirkung wirksam. Sie bleiben es auch, sofern sie den Voraussetzungen der §§ 2113 ff. BGB nicht widersprechen, also insbesondere das Recht des Nacherben nicht vereiteln oder beeinträchtigen.
Rz. 262
§ 2115 BGB schafft eine Vollstreckungssperre. Mit dieser Vollstreckungssperre wird verhindert, dass Eigengläubiger des Vorerben auf den Nachlass zugreifen. Zwangsverfügungen sind danach nach Eintritt des Nacherbenfalls insoweit unwirksam, als sie das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen. Die Unwirksamkeit ist absolut, besteht also gegenüber jedermann. Da sie auf den Nacherbenfall hinausgeschoben ist, sind die bis dahin getroffenen Vollstreckungsmaßnahmen zwar wirksam, gem. § 773 ZPO soll aber keine Verwertung durch Veräußerung oder Überweisung erfolgen. Der Nacherbe kann sich mit der Drittwiderspruchsklage wehren.
Rz. 263
Die Vorerbschaft bildet in der Hand des Vorerben – vergleichbar wie bei der Testamentsvollstreckung – eine Art Sondervermögen, das ihm zwar für die Dauer der Vorerbschaft zusteht, aber dann unmittelbar – außerhalb des Vermögens des Vorerben – mit dem ...