Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 271
Die Gestaltung einer nicht befreiten Vorerbschaft/Nacherbschaft entzieht dem Vorerben die Substanz des Nachlasses. Diese steht dem Nacherben zu. Mit einer gestaffelten Nacherbschaft kann man so versuchen, die Nachlasssubstanz an die jeweils nächste Generation weiterzugeben.
Rz. 272
Fallbeispiel 29: Der pflegebedürftige Ehegatte/Lebenspartner – ein Fall für die Vorerbschaft/Nacherbschaft?
E ist langjährig heimpflegebedürftig. Er erhält Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII. In seinem Alleineigentum steht eine Eigentumswohnung, die seine Ehefrau F bewohnt und die Schonvermögen ist, weil sie die Anforderungen an ein kleines Hausgrundstück i.S.v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII erfüllt.
E fragt, ob es Sinn macht, seine Ehefrau F zur alleinigen (nicht befreite) Vorerbin und als Nacherben seine drei Kinder aus einer anderen Ehe einzusetzen.
Alternative: Das Haus gehört der Ehefrau F, die vermeiden möchte, dass bei ihrem Vorversterben das Haus an ihren pflegebedürftigen Mann fällt und verwertet wird. Sie setzt ihn zum nicht befreiten Vorerben ein und seine drei Kinder zu Nacherben.
Rz. 273
Die Substanz steht nach dem Ende der Vorerbschaft dem Nacherben zu (§§ 2130, 2133 BGB).
Rz. 274
Der Vorerbe hat die Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung. Dazu gehört die Berichtigung der Nachlassverbindlichkeiten. Gegebenenfalls muss der Nacherbe seine Einwilligung zu einer Verfügung erteilen, die der Erbe wegen der sich aus seiner Stellung als Vorerbe ergebenden Verfügungsbeschränkung nicht ohne weiteres vornehmen darf, wenn die Verfügung zur Berichtigung einer Nachlassverbindlichkeit erforderlich ist (§ 2120 Abs. 1 S. 1 BGB).
Rz. 275
Zu den Nachlassverbindlichkeiten bei Sozialhilfebezug gehört der Kostenersatzanspruch des Sozialhilfeträgers aus sozialhilferechtlicher Erbenhaftung nach § 102 Abs. 2 SGB XII. Der Erbe der leistungsberechtigten Person oder ihres Ehegatten oder ihres Lebenspartners, falls diese vor der leistungsberechtigten Person sterben, ist danach zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, die innerhalb eines Zeitraumes von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind. Das gilt nicht für gewährte Grundsicherungsleistungen und es gibt einen Freibetrag i.H. des Dreifachen des Grundbetrages nach § 85 SGB XII. Ein Absehen von einem solchen Kostenersatzanspruch ist nur ausnahmsweise möglich, soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine besondere Härte bedeuten würde.
Rz. 276
Falllösung Fallbeispiel 29:
Verstirbt E zuerst, ist F nicht befreite Vorerbin und mit der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung des § 102 SGB XII belastet.
Zitat
"Das Gesetz bietet keinen Anhalt dafür, dass die Kostenersatzforderung des Trägers der Sozialhilfe von anderer Art ist als andere Nachlassverbindlichkeiten, z.B. ein Pflichtteilsanspruch. Daraus folgt: So wie der (nicht befreite) Vorerbe einem Pflichtteilsberechtigten – was die Höhe des Pflichtteils angeht – nicht entgegenhalten kann, der Wert des Nachlasses bestehe nur im Nutzungswert, so kann er es auch nicht gegenüber dem Träger der Sozialhilfe, der für seinen Sozialhilfeaufwand Kostenersatz fordert."
Die Nacherben haben die Befriedigung des Kostenersatzanspruches aus dem Nachlass in dessen voller Höhe und bis zu dessen Erschöpfung zu dulden.
Rz. 277
Falllösung Fallbeispiel 29 Alternative:
Verstirbt F zuerst und E gelangt zur Erbfolge, so ordnet § 102 Abs. 1 S. 4 SGB XII an, dass eine Kostenersatzpflicht nicht besteht, wenn die leistungsberechtigte Person der Erbe seines Ehegatten geworden ist. Das ist mit der Vorerbfolge zwar geschehen. Gleichzeitig ist aber auch Nacherbfolge angeordnet und der Erbe hat ein unentziehbares Anwartschaftsrecht. Das spricht dafür, dass nur die Erträge aus dem Nachlass, die dem Leistungsberechtigten zukommen, als einsatzpflichtiges Einkommen verarbeitet werden können.
Rz. 278
Andererseits gilt dieses Ergebnis nicht lupenrein. Würde F nämlich auf ihren Tod nicht nur den leistungsberechtigten E, sondern auch weitere Dritte einsetzen, so käme in Bezug auf diese Dritten wiederum § 102 Abs. 1 S. 1 SGB XII zum Zug. Würde F ihren Ehemann enterben und nur Dritte zur Erbfolge gelangen lassen, so hätte E einen Pflichtteilsanspruch gegen die Erben, den er zur Bedarfsdeckung einsetzen muss. Gleichzeitig trifft sämtliche eingesetzte Erben die sozialhilferechtliche Erbenhaftung des § 102 SGB XII.
Die Unterschiedlichkeit der Ergebnisse wirkt beliebig.