Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 224
Anders als im SGB II, das in § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II einen Verwertungsausschluss wegen offensichtlicher Unwirtschaftlichkeit kennt, ergibt sich der Verwertungsausschluss in § 90 SGB XII aus der allgemeinen Definition der Verwertbarkeit. Aus wirtschaftlicher Sicht ist ein Vermögensgegenstand unverwertbar, wenn in absehbarer Zeit kein verwertbarer Betrag dafür erzielt werden kann. Im Erbfall ist es z.B. möglich, dass kein adäquater Preis erzielt werden kann, weil auf dem Nachlass erhebliche Belastungen oder Beschränkungen liegen.
Rz. 225
Tatsächlich und wirtschaftlich nicht verwertbar sind Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden ist, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie, wie Grundstücke infolge sinkender Immobilienpreise, über den Marktwert hinaus belastet sind. Grundsätzlich ist nicht von Belang, in welchem Umfang künftige Gewinn- und Renditeaussichten verloren gehen, da nur die Substanz des Vermögens durch die entsprechenden Vermögensschutznormen geschützt ist, nicht aber die Erwartung künftiger Vermögensnutzung und -zuwächse.
Beispiel
Bei der Inanspruchnahme des Pflichtteils auf den ersten Erbfall kann einem Abkömmling eine Enterbung auf den zweiten Erbfall (sicher) drohen. Die Rechtsprechung sieht darin keinen Verwertungsausschluss wegen Unwirtschaftlichkeit.
Rz. 226
Diskutiert werden in diesem Zusammenhang auch die Verwertbarkeit bzw. Unverwertbarkeit eines Nacherbenrechts. In der Praxis ist das Anwartschaftsrecht des Nacherben kaum jemals wirtschaftlich verwertbar, denn die Erbschaft fällt erst mit dem vom Erblasser bestimmten Zeitpunkt, zumeist mit dem Tod des Vorerben an. Dieser Zeitpunkt liegt nach der üblichen statistischen Lebenswahrscheinlichkeit von Erblasser und Vorerben manchmal Jahrzehnte in der Zukunft. Hier treffen tatsächliche und wirtschaftliche Unverwertbarkeitsgründe zusammen.
Rz. 227
Auch ideelle Grundstücksanteile stellen ein Problem dar. Sie werden im Regelfall am Markt nicht gehandelt, allenfalls zwischen engen Verwandten oder Freunden. Solange Miteigentümer durch die Rechte anderer eingeschränkt sind, ist daher eine wirtschaftliche Verwertbarkeit immer zu problematisieren. Das LSG Hessen geht jedenfalls bei ideellen Grundstücksanteilen grundsätzlich davon aus, dass diese keinen nennenswerten Markt haben und deshalb grundsätzlich unverkäuflich sind.
Rz. 228
Stets ist zu berücksichtigen, dass Verwertbarkeit nicht mit Veräußerbarkeit gleichzusetzen ist. Eine Verwertung kann durch Verkauf, Vermietung oder Verpachtung in Betracht kommen. Eine Verwertung des Miteigentumsanteils ist auch durch Belastung möglich, z.B. durch Bestellung einer Grundschuld (vgl. §§ 1192, 1114 BGB). Eine Miteigentümergemeinschaft kann nach § 749 BGB jederzeit aufgehoben werden, wenn dies nicht ausdrücklich ausgeschlossen ist. Dann setzt die Aufhebung einen wichtigen Grund voraus. Die Aufhebung erfolgt nach den Vorschriften der §§ 752 ff. BGB, ggf. zwangsweise nach den Vorschriften des Pfandverkaufes bzw. der Teilungsversteigerung nach § 182 ZVG und durch Teilung des Erlöses.
Hinweis
Die Rechtsprechung verlangt in solchen Fällen konkreten Sachvortrag über Verwertungsbemühungen – wozu auch der Ankauf durch die anderen Miteigentümer gehört – und warum sie gescheitert sind. Wer hierzu nicht vorträgt und konkreten Beweis antritt, riskiert, dass von Verwertbarkeit ausgegangen wird.