Rz. 56

Vieles, was vorstehend als Einkommen beschrieben wird, kann ebenso gut Vermögen sein. Eine eigene Vermögensdefinition kennt das SGB XII nicht. Die Bestimmung von Einkommen und Vermögen muss deshalb aus der Abgrenzung der Begriffe unter der Ägide des Nachranggrundsatzes kommen. Das bedingt viele verschiedene Fallkonstellationen und die Qualifizierung eines Zuflusses als Einkommen oder Vermögen unterliegt vielen Besonderheiten. Das erschwert die sichere Zuordnung von Zuflüssen aus Erbfall und Schenkung als Einkommen oder Vermögen.

a) Tatsächlicher Zuflusszeitpunkt

 

Rz. 57

Grundsätzlich erfolgt die Abgrenzung von Einkommen zu Vermögen nach dem Zufluss und seinem Zeitpunkt. Das für das SGB XII zuständige BSG[104] folgt bei der Abgrenzung von Einkommen zu Vermögen insoweit der Rechtsprechung des BVerwG und geht vom tatsächlichen Zufluss[105] eines einzusetzenden Mittels aus, weil sozialhilferechtlicher Bedarf und sozialhilferechtliche Bedürftigkeit zeitlich im Gleichlauf sein müssen.

 

Rz. 58

Einkommen wird im SGB XII so vom Vermögen abgegrenzt, dass Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert sind, die der Hilfesuchende erst in der Bedarfszeit wertmäßig dazu erhält[106] (für Grundsicherung § 41 SGB XII nach dem Antragszeitraum), unabhängig von Herkunft oder Rechtsgrund.[107]

Vermögen ist, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Mittel, die der Hilfesuchende also erst in der Bedarfszeit erhält, sind regelmäßig als Zufluss in der Bedarfszeit Einkommen. Mittel, die der Hilfesuchende früher, wenn auch erst in einer vorangegangenen Bedarfszeit, als Einkommen erhalten hat, sind, soweit sie in der aktuellen Bedarfszeit noch vorhanden sind, Vermögen.

Für die Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, soweit nicht normativ ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt wird.[108]

 

Rz. 59

Die Zuflusstheorie gilt aber nicht lupenrein, sondern mit vielen – z.T. schwer verständlichen – Ausnahmen; deshalb nennt man sie die "modifizierte Zuflusstheorie". Ausgangspunkt ist aber immer der tatsächliche Zufluss.

Eine Ausnahme ist der sog. "normative" Zuflusszeitpunkt. Darunter versteht man einen Zuflusszeitpunkt, der rechtlich anders bestimmt wird.[109]

[104] BSG v. 3.3.2009 – Az.: B 4 AS 47/08R; tatsächlich begrenzt die Rspr. damit u.a. nur gestalterische Versuche, das Subsidiaritätsprinzip zu umgehen.
[105] BVerwGE 108, 296, Rn 15.
[106] Vgl. hierzu Schlegel/Voelzke/Schmidt, juris-PK SGB XII § 82 Rn 32 ff.
[108] BSG v. 19.5.2009 – Az.: B 8 SO 35/07 R Rn 14, FEVS 61/97; BSG v. 10.8.2016 – Az.: B 14 AS 51/15 R Rn 15, NZS 2017, 19; Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann/G. Becker, Kommentar zum Sozialrecht, 2.A., § 11 SGB II RN 5; Schellhorn/Hohm/Scheider/Legros, SGB XII, 20.A. § 90 SGB XII Rn 23; Bieritz/Conradis/Thie/Geiger, LPK-SGB XII, § 82 Rn 5;
[109] BSG v. 19.9.2008 – Az.: B 4 AS 29/07R m.N. zur alten BVerwG-Rechtsprechung.

b) Erbfall-Zufluss und Vorverlegung des Zuflusses

 

Rz. 60

Ein Beispiel für einen vom tatsächlichen Zufluss abweichenden "normativen" Zufluss ist die zeitliche Vorverlegung des Zuflusses aufgrund einer rechtlichen Wertung. Das betrifft die rechtliche Qualifizierung einer Erbschaft (§ 1922 BGB) als Einkommen oder Vermögen (in der Literatur "Erbfall-Zufluss" genannt).[110] Dabei ist es gleichgültig, ob es sich um eine aus dem Erbfall resultierende Alleinerben- oder Miterbenstellung handelt.[111]

 

Hinweis

Die "Erbfall-Zufluss"-Rechtsprechung beginnt mit der Entscheidung des BSG v. 24.2.2011[112] und bezieht sich auf Fälle zu § 11 SGB II a.F. bis zum 31.7.2016.[113] Entscheidungen aus der Zeit davor sind nur noch bedingt heranziehbar. Aus dem SGB XII stammt nur eine geringe Anzahl von Entscheidungen.

 

Rz. 61

Die Rechtsprechung des SGB II knüpft bei einer Erbschaft, auch wenn damit noch keine Bedarfsdeckung möglich ist, als Zuflusszeitpunkt an den Tag des Erbfalls an, um zwischen der Rechtsqualität als Einkommen und der Rechtsqualität als Vermögen zu unterscheiden:

Zitat

"Ein solcher rechtlich maßgeblicher anderer Zufluss ergibt sich bei einem Erbfall aus § 1922 Abs. 1 BGB, nach dem mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf den oder die Erben übergeht (Gesamtrechtsnachfolge). Bereits ab diesem Zeitpunkt kann ein Erbe aufgrund seiner durch den Erbfall erlangten rechtlichen Position über seinen Anteil am Nachlass verfügen. Diese Besonderheiten der Gesamtrechtsnachfolge im BGB sind auch für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem SGB II entscheidend. Ob der Erbe schon zum Zeitpunkt des Erbfalls tatsächlich – zumindest bedarfsmindernde – Vorteile aus seiner Erbenstellung ziehen kann, ist dabei zunächst ohne Belang. § 11 Abs. 1 S. 1 SGB II setzt nicht voraus, dass der Einnahme bereits ein "Marktwert" zukommt. Entscheidend für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen ist daher, ob der Erbfall jedenfall...

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