Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 586
Ein Sozialhilfebezieher kann unter besonderen Voraussetzungen lebzeitig geschontes Vermögen haben. Die Privilegierung von Einkommen findet nach den oben dargestellten Schontatbeständen ("normative Schutzschirme") statt.
Geschütztes Vermögen wird in § 90 SGB XII definiert. § 90 SGB XII zählt zunächst die Fälle des gegenständlichen Schonvermögens auf. Geschont ist aber auch das Vermögen des Sozialhilfebeziehers, dessen Einsatz oder Verwertung nach § 90 Abs. 3 SGB XII für ihn oder seine unterhaltsberechtigten Angehörigen eine Härte bedeuten würde. Das sind vor allem die Fälle, bei denen vom Sozialhilfebezieher Einkommen angespart oder aus sonstigen Gründen erworben wurde, das nach §§ 82 ff. SGB XII ausnahmsweise ganz oder teilweise nicht zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs herangezogen wird. Dazu gehören z.B.:
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die Nachzahlung einer Grundrente nach dem BVG |
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das angesparte Erziehungsgeld für die Dauer des Förderungszeitraums |
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das Blindengeld wegen fortdauernden allgemeinen Mehrbedarfs |
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angespartes Schmerzensgeld. |
Rz. 587
Dazu gehört z.B. aber auch das angesparte Einkommen, das aus Härtegründen nach § 82 Abs. 3. S. 3 SGB XII und § 87 Abs. 1 S. 3 SGB XII lebzeitig nicht eingesetzt werden muss. Der Schutz des Einkommens setzt sich beim Angesparten fort.
Dazu gehört auch das Vermögen, das nach § 66a SGB XII bei der Hilfe zur Pflege geschont ist.
Der Schutz endet mit dem Tod des Hilfebedürftigen. Dann ist der Nachrang der Sozialhilfe wiederherzustellen.
Bemerkenswert ist, dass es für den Kostenersatz nach § 102 SGB XII nicht darauf ankommt, ob das Vermögen bereits zum Zeitpunkt des Leistungsbezugs existiert hat und geschont war oder ob es erst nach dem Leistungsbezug erworben wurde. Die Rechtsprechung stellt darauf ab, dass es in § 102 SGB XII um eine umfassende Refinanzierung der Sozialhilfe gehe. Deshalb werden von der Rückforderung für die Dauer von zehn Jahren seit dem Erbfall z.B. auch diejenigen Mittel erfasst, die der Sozialhilfebezieher erst kurz vor seinem Tod erworben hat.
Rz. 588
Fallbeispiel 44: Die angesparte Conterganrente
Die Eltern einer verstorbenen Contergangeschädigten, die Leistungen der Sozialhilfe bezogen hatte, waren Erben ihrer Tochter geworden. Der Nachlass war werthaltig, weil die Verstorbene Leistungen aus der Conterganrente angespart hatte. Die Eltern wurden auf Rückzahlung der Sozialhilfe für die letzten zehn Jahre aus dem Angesparten in Anspruch genommen. Dagegen klagten die Eltern als Erben ihrer Tochter.
Rz. 589
Falllösung Fallbeispiel 44:
Nach dem Gesetz über die Conterganstiftung für behinderte Menschen haben contergangeschädigte behinderte Menschen einen Anspruch auf Kapitalentschädigung, Leistungen zur Deckung spezifischer Bedarfe und lebenslängliche Conterganrente sowie eine jährliche Sonderzahlung (§ 13 Conterganstiftungsgesetz). Die Kapitalentschädigung beträgt mindestens 1.278 EUR und höchstens 12.782 EUR, die monatliche Conterganrente in 2021 mindestens 744 EUR und höchstens 8.397 EUR. Auf Antrag ist die Conterganrente zu kapitalisieren, soweit der Betrag zum Erwerb oder zur wirtschaftlichen Stärkung eigenen Grundbesitzes zu eigenen Wohnzwecken verwendet wird.
Rz. 590
Das Besondere der Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz besteht darin, dass sie sozialhilferechtlich in vielfacher Weise privilegiert sind. Sie gehören zu den durch § 83 SGB XII geschonten Einkünften. § 18 Conterganstiftungsgesetz regelt, dass bei der Ermittlung oder Anrechnung von Einkommen, sonstigen Einnahmen und Vermögen nach anderen Gesetzen, insbesondere dem SGB II, III, V, IX und XII und dem BGB, Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz außer Betracht bleiben.
Bei den Hilfen nach dem 5.–9. Kapitel des SGB XII ist der leistungsberechtigten Person und ihrem nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartner die Aufbringung der Mittel aus dem Einkommen nach §§ 19 Abs. 3, 87 Abs. 1 und 88 SGB XII nicht zuzumuten.
Der Einsatz des Vermögens der leistungsberechtigten Person und ihres nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners nach §§ 19 Abs. 3, 90 Abs. 3 S. 1 SGB XII stellt eine Härte dar.
Für Eingliederungshilfebezieher nach §§ 90 ff. SGB IX wird ein Kostenbeitrag nach § 92 SGB IX nicht erhoben.
Rz. 591
Das BSG hat eine postmortale Fernwirkung dieser Schontatbestände für das aus Conterganleistungen angesparten Nachlassvermögen abgelehnt, weil diese Vorschriften allein dem Schutz des Sozialhilfeberechtigten, nicht aber seinen Erben dient. An der Ersatzpflicht ändere sich auch nicht deshalb etwas, weil die Zuwendung der Stiftungsleistungen an Dritte (die Eltern) zu Lebzeiten des Sozialleistungsbeziehers im Rahmen seines freien Verfügungsrechts möglich gewesen wäre und deren Begünstigung und nicht die Begünstigung des Sozialleistungsträgers dem mutmaßlichen Willen des Sozialleistungsbeziehers entsprochen habe.
Rz. 592
Dieser Einwand gilt nach der Rechtsprechung des BSG in gleicher Weise auch für anderes sozialhilferechtlich pr...