Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 190
Wie zuvor auch, ist ein Anfall eines Pflichtteilsanspruchs vor dem Bedarfs-/Antragszeitraums Vermögen nach § 12 SGB XII.
Sodann bietet sich für die weitere Bewertung und Vorgehensweise kein einheitliches Bild. Geiger spricht davon, dass es für die Bestimmung, was Einkommen und was Vermögen sei, keinen Algorithmus gebe. Z.T. wird ohne jede Begründung oder Einschränkung der Pflichtteilsanspruch als Vermögen behandelt. Das wird flankiert durch den Satz: "In keinem Fall wird Vermögen zu Einkommen." Luthe vertritt eine völlig andere Auffassung und hält sowohl das Miteigentum an einem Grundstück wie auch einen Pflichtteilsanspruch "wesenmäßig" für Vermögen. Das SG Mainz, das Pflieger zur Grundlage seiner Gestaltungsüberlegungen heranzieht, nahm für einen im Bedarfszeitraum angefallenen Pflichtteilsanspruch durchgängig Vermögensqualität an.
Rz. 191
In der Entscheidung des BSG zum SGB II a.F. vom 6.5.2010 lag der Tod des Erblassers 2004 und der Erstantrag des Bedürftigen 2005. Der Pflichtteilsanspruch resultierte aus einer Enterbung auf den ersten Todesfall eines Elternteils. Der Kläger verweigerte die Realisierung des Pflichtteilsanspruches u.a. aus den Härtegründen des § 90 Abs. 3 SGB XII. Obwohl voraussehbar war, dass der Anspruch sich bei Verneinung der Härte erst im Bedarfszeitraum realisieren konnte, blieb das BSG bei der Annahme, der Pflichtteilsanspruch sei Vermögen.
Die h.M. orientiert sich dagegen an den nachfolgenden Entscheidungen des BSG, die den Anfall des Pflichtteilsanspruches vor dem Bedarfszeitraum und die Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs gemäß § 2317 BGB im Bedarfszeitraum bzw. nach Antragstellung unterscheiden. Nach dieser Rechtsprechung handelt es sich bei dem Pflichtteilsanspruch um eine gewöhnliche Geldforderung und deshalb soll es sich im Zeitpunkt des realen Zuflusses des Geldbetrags um Einkommen handeln. Diese Beurteilung – so das BSG zu § 11 SGB II a.F. bis zum 31.7.2016 – stehe nicht in Widerspruch zu der Qualifizierung des Pflichtteilsanspruchs als Vermögen. Die schuldrechtliche Unterscheidung zwischen der auf Zahlung eines Betrages gerichteten Forderung – der Pflichtteilsanspruch – und der Erfüllung der Forderung durch Auszahlung solle nicht zu einer Konkurrenz dergestalt führen, dass die Forderung als Vermögen und daneben die Leistung aus der Forderung als Einkommen zu berücksichtigen wäre. Eine Forderung könne – als ein nicht bereites Mittel – ein Vermögensgegenstand sein. Mit Auszahlung der Forderung handele es sich – im Rahmen des tatsächlichen Zuflusses – um bereite Mittel im Sinne von Einkünften. Auf das Schicksal der Forderung komme es gerade nicht an. Dagegen hat sich das LSG Baden-Württemberg ausgesprochen, das für einen Pflichtteilsanspruch, der vor dem Leistungsbezug angefallen ist, aber erst 13 Monate später erfüllt wurde, durchgängig Vermögensqualität annahm und feststellte: "Durch die Gutschrift der Auszahlung des Pflichtteilsanspruches auf dem Konto der Klägerin noch während des Hilfebezuges hat das Vermögen der Klägerin keine Änderung erfahren. Der Geldzufluss ist nicht als Einkommen zu werten, sondern fällt als Surrogat weiter unter den Vermögensbegriff."
Rz. 192
Die Rechtsprechung des BSG zum "Zufluss" einer Forderung wird auch im Übrigen kritisiert. Es wird beanstandet, dass der Erlös aus dem Verkauf "greifbarer" Vermögensgegenstände (Münzen, Schrank, Bild) als Vermögen angesehen wird, wenn diese Gegenstände im Zeitpunkt des Eigentumswechsels Vermögen waren. Es sei rechtssystematisch nicht zu begründen, Forderungen anders zu behandeln und sie unabhängig von ihrem Schicksal im Zeitpunkt des Zuflusses fast ausschließlich als Einkommen zu behandeln. Die m.E. nach zutreffende Kritik leitet sich aus der Umschichtungsrechtsprechung des BSG ab, hat sich aber nicht durchgesetzt. Der Wechsel des "Aggregatzustandes" vom Vermögen zum Einkommen wird bei Forderungen durchweg gehandhabt.
Differenzierend sieht dies Geiger. Er bejaht die Erfüllung eines Pflichtteilsanspruches in Geld im Bedarfszeitraum als Geld. Ist der Ausgangspunkt, dass der noch nicht realisierte Pflichtteilsanspruch als Forderung Vermögen ist, dann soll auch zunächst die Verwertbarkeit des Vermögens anhand der zeitlichen Prognose der Verwertbarkeit nach § 90 SGB XII geprüft werden. Ist eine Verwertbarkeit im Bedarfszeitraum anzunehmen, soll es sich um Vermögen handeln und ggf. nach § 91 SGB XII ein Darlehen gewährt werden. "Kann der als Vermögen zugeflossene Pflichtteilsanspruch nicht aktuell verwertet werden, ist seine spätere Erfüllung im laufenden Leistungsbezug als Einkommen zu werten."
Wettlaufer kommt unter Bezugnahme SGB II-Entscheidung des BSG vom 6.5.2010 dazu, dass die Erfüllung eines Pflichtteilsanspruchs durch Mittelzufluss "unter Umständen Vermögen statt Einkommen" sein kann. Er differenziert für den Anfall eines Pflichtteils generell danach, wann der Zufluss der Forderung erfolgte. Es gelte beim Vermö...