Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 454
Unterstellt man, dass der Beschenkte dem Schenker das Geschenk im Zeitpunkt der Überleitung freiwillig zurückgegeben hätte, dann hätte er einen Schenkungsrückforderungsanspruch anerkannt und erfüllt. Der Schenker wäre – im Falle einer Immobilienschenkung durch Eintragung ins Grundbuch – wieder Eigentümer geworden. Das stellt einen Zufluss im Bedarfs- bzw. Bedürftigkeitszeitraum dar, der nach der modifizierten Zuflusstheorie als Zufluss in Geldeswert, unabhängig davon, wer die Immobilie bewohnt, die rechtliche Qualität als Einkommen nach § 82 SGB XII hat und nicht als Vermögen. Diesen Sachzufluss muss man sich im Rahmen der Kausalitätsprüfung als "bereites" Mittel denken, was nur dann geht, wenn man sich die "Versilberung" des Einkommens vorstellt, weil nur das ein bereites Mittel schafft.
Rz. 455
Der Zufluss als Einkommen könnte allenfalls über § 82 Abs. 2 S. 3 SGB XII geschont sein. § 82 Abs. 2 S. 3 SGB XII ist aber keine gesichert anerkannte Einkommensverschonungsnorm und es ist relativ unwahrscheinlich, darüber zu einer Verschonung des rechtzeitig zurückgegebenen Geschenks zu gelangen. Allerdings muss man sich fragen, welche Bedeutung es hat, dass das "versilberte" Sacheinkommen nach Ablauf der Anrechnungsphase nach § 82 Abs. 7 SGB XII zu Vermögen wird. Eigentlich müsste man darauf antworten: "keine", denn durch die "Versilberung" ist es unmöglich in der Kategorie von Schonvermögen nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII zu denken, allenfalls nach § 92 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII.
Die Überleitung greift also, weil auch bei Rückgabe der ganzen Immobilie kein Weg daran vorbeiführt, dass dann, wenn sie pünktlich zum Zeitpunkt der Leistung zurückgegeben worden wäre, sie rechtlich als Einkommen zu behandeln gewesen wäre.
Rz. 456
Vielleicht hilft aber auch eine Alternativüberlegung. Der 4. Senat des BSG zum SGB II hat zu einer Forderung, die im Bedarfszeitraum des SGB II entstanden war, aber erst 13 Jahre später fällig wurde, ausgeführt: "Auch nicht bereite Mittel sind jedoch, wenn es sich um verwertbares Vermögen handelt, zur Existenzsicherung einzusetzen." Über diesen Weg könnte man die Überlegungen zu Versilberung der Immobilie und zum Verteilzeitraum vor Umwandlung in Vermögen umgehen. Auf diesem Weg würde man direkt doch noch in die Vermögensprüfung nach § 90 SGB XII kommen und es stellte sich erneut die hypothetische, aber alles entscheidende Frage, ob die rechtzeitig zurückgegebene Immobilie einsatzpflichtig i.S.v. § 90 SGB XII gewesen wäre.
Rz. 457
In den klassischen Heimpflegefällen könnte die Rückgabe einer verschenkten Immobilie nur dann zu einem Schonvermögenstatbestand führen, wenn
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mindestens einer der Ehegatten/Lebenspartner die Immobilie noch selbst bewohnt |
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es sich um eine angemessene Immobilie im Sinne des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII handelt |
Schon diese Voraussetzungen werden in den allermeisten Fällen nicht gegeben sein. Zumeist scheitert es daran, dass die Fläche für eine Person unangemessen groß ist oder die Immobilie gar nicht mehr selbst bewohnt wird.
In allen anderen Fällen käme man zu Schonvermögen i.S.v. § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII nur dann, wenn man entgegen der sozialhilferechtlichen Rechtsauffassung annähme, dass die einmal aufgegebene Schonvermögensqualität während des Bestehens der Bedürftigkeit neu begründet werden kann. Ggf. wäre auch noch möglich, einen Schonvermögenscharakter wegen einer Härte nach § 90 Abs. 3 SGB XII zu bejahen.
Rz. 458
Von einem zivilrechtlichen Teil der Literatur wird die Wiedererlangung der Schonvermögensqualität für möglich gehalten. Aber gleichzeitig relativiert diese Auffassung den Nutzen einer solchen Vorgehensweise. Die Überleitung geht danach nämlich zwar ins Leere; stattdessen droht die sozialhilferechtliche Erbenhaftung des § 102 SGB XII. Das Ergebnis einer solchen Vorgehensweise besteht also im Wesentlichen in einem Verwertungsaufschub. Es ist deshalb fraglich, ob die Kosten-/Nutzen/Risiko-Relation bei der Rückgabe eines schonvermögensfähigen Geschenkes wie einer Immobilie wirklich stimmt.
Rz. 459
Falllösung Fallbeispiel 36:
Durch das Verschenken der Miteigentumsanteile an den Sohn haben sich die Ehegatten jeglicher Möglichkeit begeben, durch eigene Mittel den Heimpflegbedarf des Ehemannes zu decken. Andererseits haben sie sich aber auch der Möglichkeit begeben, dass die Ehefrau weiterhin in einer nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII geschonten Immobilie lebt. Lediglich das ihr vorbehaltene Wohnungsrecht sichert ihr Wohnen ab, wird aber auch – soweit keine Kosten der Unterkunft entstehen – bedarfsdeckend angerechnet.
Die Schenkung an den Sohn kann einen Schenkungsrückforderungsanspruch nach § 528 BGB entstehen lassen. Die Möglichkeit eines solchen Anspruchs reicht für die Überleitung nach § 93 SGB XII aus. Wenn der Sohn diesen Anspruch durch Rückgabe erfüllen will, stellt sich die Frage nach der Rechtsfolge.
Rz. 460
Vor Überleitung kann der Schenker im SGB XII noch selbst verfügen und selbst wirksam Eigentum zurückerwerben. Der Zufluss bleibt...