Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 321
Die Angemessenheit nach § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII wird – anders als nach § 12 Abs. 2 Nr. 4 SGB II – mittels einer Vielzahl von Kriterien (Kombinationstheorie), z.B.
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Anzahl der Bewohner |
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Wohnbedarf (z.B. behinderter oder pflegebedürftiger Mensch) |
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Grundstücksgröße |
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Hausgröße |
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Zuschnitt |
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Ausstattung des Wohngebäudes |
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Wert |
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Zielsetzung der Wohnnutzung über den Tod hinaus |
beurteilt. Soweit ein einzelnes Kriterium unangemessen ist, führt dies nicht automatisch zur kompletten Unangemessenheit. Bei der Bestimmung des Verkehrswerts fallen auf dem Grundstück liegende Belastungen nicht wertmindernd ins Gewicht.
aa) Wohnflächengrenzen
Rz. 322
Das BSG geht bei der Beurteilung der Angemessenheit sowohl im SGB II als auch im SGB XII von den Wohnflächengrenzen des § 39 WoBauG aus.
Eigentumswohnungen sind dann nicht unangemessen groß, wenn die Wohnfläche bei vier Personen 120 qm nicht überschreitet. Bei einer geringeren Personenzahl ist für jede Person ein Abschlag von 20 qm vorzunehmen. Im Regelfall ist von einer Mindestpersonenzahl von zwei Personen auszugehen. Bei einer Einzelperson sind 80 qm angemessen.
Rz. 323
Für Hausgrundstücke mit nur einer Wohnung stellt § 39 WoBauG auf eine Fläche von maximal 130 qm ab. Diese Größe hat das BSG übernommen für das Bewohnen durch vier Personen. Bei einer Belegung eines Hauses mit nur einer Person soll die Grenze typisierend bei 90 qm liegen. Für die Personenzahl, die beim Bewohnen zu berücksichtigen ist, sind im SGB XII auch Angehörige i.S.v. § 16 Abs. 5 Nr. 3 SGB X einzubeziehen, also auch Verwandte und Verschwägerte gerader Linie.
Rz. 324
Die Wohnflächengrenzen nach dem II. WohnbauG können trotz dieser Generalisierung nicht als quasi normative Grenzen herangezogen werden. Beim Vorliegen besonderer Umstände bedürfen sie einer Anpassung, da Entscheidungsspielraum für außergewöhnliche, vom Regelfall abweichende Bedarfslagen im Einzelfall bestehen bleiben muss. Ein früher günstigerer Lebensstandard gehört allerdings ebenso wenig dazu wie der Wunsch der vormaligen Erblasserin, das Haus in Familienbesitz zu halten.
Rz. 325
Bei einer Überschreitung der Wohnflächenobergrenze von bis zu 10 % soll wegen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes noch von Angemessenheit auszugehen sein. Die Angemessenheit kann je nach den Kriterien des § 90 Abs. 2 Nr. 8 S. 2 SGB XII und den Umständen des Einzelfalles auch größenmäßig angepasst werden. Ist z.B. die Benutzung eines Rollstuhls wegen einer Behinderung notwendig, kann eine größere Wohnfläche angemessen sein. Für Rollstuhlfahrerbedarf können 15 qm Zusatzfläche berücksichtigt werden. Bei häuslicher Pflege werden bis zu 20 % Zusatzfläche akzeptiert. Bei einer notwendigen Mehrfläche wegen ständiger Betreuung durch eine Pflegekraft akzeptieren die Sozialämter 20 qm zusätzlich.
Rz. 326
Ein Grundstück kann im SGB XII nach einer Ansicht z.B. auch dann angemessen sein, wenn ein Haus eine Nutzfläche von über 90 qm hat, mit öffentlichen Mitteln errichtet wurde und aufgrund der typischen Alterslebenslage jetzt aber nur noch von einer oder zwei Personen bewohnt wird. Nach anderer Ansicht kann ein "Herauswachsen" aus der Wohnfläche nicht berücksichtigt werden.
Rz. 327
Die Ausübung eines Gewerbes oder eines Berufes in einem selbstgenutzten Haus oder einer selbstgenutzten Eigentumswohnung kann ebenfalls ein solch besonderer Umstand sein, der eine Abweichung von der Standardquadratmeterzahl rechtfertigt.