Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 30
Strukturprinzipien prägen das sozialhilferechtliche Leistungsverhältnis. Strukturprinzipien bezeichnen "die rechtlichen Bedingungen für die Leistung von Sozialhilfe und wirken damit zugleich als Leitlinien für die Rechtsanwendung und -auslegung." Strukturprinzipien sind Wegweiser für die rechtliche Prüfung, vor allem im Rahmen eines Schlüssigkeitschecks des gefundenen Ergebnisses.
Und so, wie der Leistungsanspruch an ihnen gemessen wird, können auch der "Sozialhilfe“-Regress – also die Leistungsstörungsregeln -am besten mittels der Strukturprinzipien des Sozialhilferechts verstanden werden. Denn er zielt darauf ab, zu dem Zustand zurückzukehren, der bestanden hätte, wenn im sozialhilferechtlichen Leistungssystem alles nach dem Plan des Gesetzgebers – also nach den von ihm vorausgesetzten Strukturprinzipien – gelaufen wäre."
I. Nachranggrundsatz
Rz. 31
Das SGB XII ist ein existenzsicherndes Leistungssystem. Mit anderen hier diskutierten Gesetzen eint das SGB XII das Strukturprinzip der Subsidiarität bzw. des Nachrangs (§ 2 SGB XII). Die vorrangige Selbsthilfeverpflichtung gilt als Ausdruck der Menschenwürde. Das Verständnis der Begriffe von Einkommen und Vermögen, die vorrangig einzusetzen sind, muss sich daraus ableiten. Jede Verbesserung des status quo der Verbesserung des Gesamtvermögens ist grundsätzlich auch eine Verbesserung der Möglichkeit zur Selbsthilfe.
Rz. 32
Dieses Prinzip ist das eigentliche Kernstrukturprinzip des SGB XII wie des SGB II. Es realisiert sich entsprechend dem konkreten Bedarf, also der Art der benötigten oder erbrachten Sozialhilfeleistung, die in § 19 Abs. 1–3 SGB XII aufgezählt werden. Der auf den ersten Blick offenkundige Unterschied zwischen den Voraussetzungen bei den existentiellen Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§ 19 Abs. 1 und 2 SGB XII) und den Hilfen in speziellen Lebenslagen (§ 19 Abs. 3 SGB XII) besteht darin, dass bei den Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts dem ermittelten Bedarf das vorhandene Einkommen und verwertbare Vermögen des Hilfesuchenden und seiner Einsatzgemeinschaft gegenüberzustellen und grundsätzlich jedes Einkommen und verwertbare Vermögen anrechenbar ist. Das Instrumentarium der normativen Verschonungstatbestände ("normativer Schutzschirme") ist begrenzt.
Rz. 33
Bei den Hilfen in besonderen Lebenslagen löst sich die Bedürftigkeitsprüfung vom abzudeckenden Bedarf ab. Entscheidend ist, ob der Einsatz von Einkommen und/oder Vermögen zumutbar ist (§ 19 Abs. 3 SGB XII).
Im Grunde wird im SGB XII nach dem Nettoprinzip verfahren:
Zitat
"Leistungen werden danach – außer in den ausdrücklich gesetzlich angeordneten Fällen – nur in Höhe des Betrages erbracht, der die für die Hilfe zum Lebensunterhalt (§§ 82–84 SGB XII) und/oder die für die besonderen Sozialhilfeleistungen (§§ 85–89 SGB XII) vorgesehenen Grenzen der Berücksichtigung von Einkommen überschreitet, wenn auch kein Vermögen vorhanden ist."
Das Bruttoprinzip ist die Ausnahme.
Rz. 34
Der Einsatz eigenen Einkommens und Vermögens des Hilfesuchenden und/oder der Einsatzgemeinschaft des Hilfesuchenden im sozialrechtlichen Leistungsverhältnis des SGB XII erfolgt im Wege
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der Errechnung des einzusetzenden Anteils bei der endgültigen Bewilligung |
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des Kostenbeitrags, Aufwendungsersatzes oder Darlehens bei der vorläufigen Sozialhilfegewährung |
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des Sozialhilferegresses in der Form der Überleitung oder des Übergangs des Anspruches oder |
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der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung. |
II. Bedarfsdeckungsgrundsatz
Rz. 35
Das Sozialhilferecht ist final ausgerichtet. Es geht darum, einen in der aktuellen Situation konkret vorhandenen Bedarf (Bedarfsdeckungsgrundsatz) zu decken. Im Bedarfsdeckungsgrundsatz kommt zum Ausdruck, dass als Sozialhi...