Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 79
Im Bedarfszeitraum/Antragszeitraum (für die Grundsicherung) zugeflossene Mittel haben durch die modifizierte Zuflusstheorie grundsätzlich die Qualität als Einkommen. Hinzukommen muss aber die Eigenschaft zur Bedarfsdeckung. Pflichtteilsansprüche können zwar in der Form der Forderung als Einkommen anfallen, werden aber meistens nicht sofort erfüllt, so dass sie im Bedarfszeitraum noch nicht bedarfsdeckend angerechnet werden dürfen und können. Eine fiktive Zurechnung darf nicht erfolgen. Damit befände man sich eigentlich so lange in einem zurechnungsfreien Raum, bis das Einkommen "versilbert", d.h. zu Geld gemacht wäre.
Die Rechtsprechung des 4. Senates des BSG zum SGB II löst das Problem dadurch, dass es "nicht bereites" Einkommen "jedenfalls" in einem nachfolgenden Bedarfszeitraum als Vermögen berücksichtigen will, wenn es als solches verwertbar ist. Dazu wird argumentiert, dass Forderungen nach § 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II auch Vermögen und als solche verwertbar sein können; durch Beleihung, Abtretung etc. Die Kommentarliteratur hat sich dem z.T. angeschlossen, denn auch nicht bereite Mittel seien zur Existenzsicherung einzusetzen. "Unabhängig von der Frage der Abgrenzung kann auch nicht bereites Einkommen als Vermögen zu berücksichtigen sein, wenn es als solches verwertbar ist." Sei die Verwertungsperspektive nicht absehbar, müsse als Zuschuss weiter Sozialhilfe gewährt werden.
Rz. 80
Das LSG NRW hat im SGB XII für nicht realisierte Forderungen entschieden: "Nicht realisierte Ansprüche stellen danach schon deshalb kein Einkommen im Sinne von § 82 Abs. 1 SGB XII dar, weil dem Anspruchsinhaber kein Geld oder Geldwert tatsächlich zufließt und ihm deshalb keine bereiten Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen Für die Annahme eines normativen Zuflusses einer fiktiven Einnahme aus einem nicht realisierten Anspruch fehlt es an einer Rechtsgrundlage im SGB XII."
Das LSG hat dann allerdings klargestellt: "nicht realisierte Ansprüche auf laufende Geldleistungen, wie sie hier im Raum stehen, sind auch nicht als einzusetzendes Vermögen im Sinne von § 90 SGB XII zu bewerten. Dies folgt schon daraus, dass bei solchen Ansprüchen der wertmäßige Zuwachs erst mit dem tatsächlichen Geldzufluss, nicht aber schon mit dem bloßen Entstehen oder der Fälligkeit des Anspruchs eintritt. Erst bei Zufluss der Geldleistung ist diese als Einkommen zu berücksichtigen, was die Annahme des Bestehens von Vermögen vor dem Zufluss ausschließt."
Rz. 81
Zusammenfassung:
Die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen nach dem tatsächlichen oder "normativen" Zuflusszeitpunkt gibt die Antwort auf die Frage, ob etwas qualitativ Einkommen oder Vermögen i.S.d. SGB XII ist. Die Strukturprinzipien des Sozialhilferechts geben die Antwort auf die Frage, ob das so ermittelte Einkommen tatsächlich als bedarfsdeckend zugerechnet werden darf.
Nach dem Ende des Zuflussmonats oder des (angemessenen) Verteilzeitraumes kann nicht verbrauchtes Einkommen sozialhilferechtlich zu Vermögen werden.
Die Abgrenzung nach dem Zuflussprinzip soll nach Teilen der Rechtsprechung und Kommentarliteratur ihre Bedeutung verlieren, wenn sich aktuell nicht verwertbares Einkommen nach den Regeln der Vermögensverwertung einsetzen ließe. Das ist keine Änderung des Rechtscharakters des Zuflusses, sondern ein wertendes Korrektiv der Rechtspraxis das noch mehr Abgrenzungsprobleme schafft.