Dr. Gudrun Doering-Striening
I. Einleitung
Rz. 44
Es bedarf für die Antwort auf die Frage, welche Auswirkungen Schenkungen und Zuflüsse aufgrund eines Erbfalles bzw. deren Verbrauch für das sozialhilferechtliche Leistungsverhältnis haben, der Prüfung des jeweils konkret in Betracht kommenden Leistungsanspruches und seiner "Schon"-tatbestände, weil von der Leistung abhängt, ob und wenn ja, welcher Schontatbestand greift.
Rz. 45
Der Dreh- und Angelpunkt der Prüfung des Anspruchstatbestandes ist das Tatbestandsmerkmal der Bedürftigkeit. Bedürftigkeit ist nach dem Gesetz und seinen Strukturprinzipien einheitlich
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ein Mangel an Mitteln aus Einkommen und/oder Vermögen, |
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die zur Bedarfsdeckung geeignet sind, |
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tatsächlich zur Verfügung stehen |
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und nicht normativ geschützt sind. |
Der objektive Mangel an eigenen oder fremden Mitteln ist negatives Tatbestandsmerkmal bzw. anspruchsbegründende Tatsache des sozialhilferechtlichen Anspruchstatbestands.
Rz. 46
Hinweis
Lässt sich auch nach Ausschöpfung aller denkbaren Erkenntnisquellen nicht aufklären, ob Hilfebedürftigkeit vorliegt, so geht dies zu Lasten desjenigen, der Ansprüche auf Sozialhilfe geltend macht. Die objektive Beweislast für das Nichtvorliegen von Vermögen trägt der Hilfesuchende. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung dann, wenn die mangelnde Fähigkeit, den Verbrauch eines zuvor vorhandenen erheblichen Geldvermögens plausibel und glaubhaft zu erklären, auf einer sich zwischenzeitlich manifestierenden, progredienten geistigen Erkrankung beruht. In einer solchen Konstellation wird angenommen, dass ein besonderer Umstand vorliegt, der angesichts der verfassungsrechtlichen Durchdringung des auf existenzsichernde Leistungen bezogenen Eilrechtsschutzes eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers auf Gewährung von Grundsicherungsleistungen trotz Bestehens von Restzweifeln begründen kann. Wenn ein Hilfesuchender allerdings noch über Angehörige verfügt, die ohne Weiteres in der Lage wären, sachdienliche Auskünfte über den Verbleib von Geldmitteln zu geben oder gar über eine Vollmacht verfügen oder Betreuer sind, die ihnen einen Zugriff auf die Konten des Hilfesuchenden ermöglicht, findet diese Ausnahme keine Anwendung.
Eine Beratungspflicht des Sozialhilfeträgers dahingehend, durch den Verbrauch des Vermögens möglichst rasch die Hilfebedürftigkeit herbeizuführen, besteht nicht und steht im Widerspruch zu § 103 Abs. 1 S. 1 SGB XII.
Rz. 47
Zuflüsse aus Erbfall und Schenkung und Ansprüche aus Schenkung/Schenkungsrückforderung sind generell zur Bedarfsdeckung geeignete Mittel und können den sozialhilferechtlichen Leistungsanspruch bedrohen oder zu Fall bringen, weil der Hilfe Beanspruchende nicht (mehr) bedürftig ist. Ob das der Fall ist, wird daran gemessen, ob der Zufluss "normativ geschütztes" Einkommen oder Vermögen ist oder eben nicht. Das BSG spricht in diesem Zusammenhang von Mitteln, die "normativ anerkannt für andere Zwecke genutzt werden können oder dürfen" und somit dem Sozialhilfebedürftigen zugutekommen können.
Rz. 48
Fazit
Wer erbrechtlich sozialhilfeunschädlich gestalten will, muss sein Augenmerk darauf richten, die Möglichkeiten der Selbsthilfe nachhaltig und dauerhaft zu vermeiden bzw. zu vernichten.
Da, wo der Einsatz von eigenem Einkommen bzw. Vermögen weniger strikt oder auch gar nicht verlangt wird, ist Raum für rechtsverteidigende oder auch rechtsgestaltende anwaltliche Tätigkeit, denn "Sozialhilferegress" zu verhindern bedeutet immer, an den Grenzen der Leistungsregeln des konkret in Rede stehenden Sozialhilfeanspruches zu navigieren und dabei die sozialpolitischen Gründe für die Ausnahmen bei der Gestaltung im Blick zu haben.
II. Einkommen im SGB XII – §§ 82 ff. SGB XII
1. Übersicht
Rz. 49
Wer Zuflüsse aus Erbfall oder Schenkung oder Ansprüche aus einer selbst getätigten Schenkung hat, ist möglicherweise nicht bedürftig im Sinne des SGB XII. Es ist also zu prüfen, ob es sich um sozialhilferechtliches Einkommen und/oder Vermögen handelt, das aufgrund des Nachranggrundsatzes zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden muss.
Mittel, die zufließen und sozialhilferechtlich als Einkommen zu prüfen sind, können n...