Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 594
§ 102 SGB XII regelt zwei postmortale Kostenersatzansprüche. Sie richten sich gegen die Erben der leistungsberechtigten Person und darüber hinaus gegen die Erben des nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartners, falls dieser vor der leistungsberechtigten Person verstorben ist. Sie richten sich nicht gegen den Leistungsberechtigten, wenn dieser Erbe des vorverstorbenen Ehegatten oder Lebenspartners wird (§ 102 Abs. 1 S. 2 SGB XII).
aa) Wer ist Erbe der leistungsberechtigten Person?
Rz. 595
Der Begriff des Erben in § 102 SGB XII ist der Begriff des BGB (§§ 1922 ff. BGB); es kann sich sowohl um den gesetzlichen als auch um den gewillkürten Erben handeln. Es kann auch eine Mehrheit von Erben sein, die dann als Gesamtschuldner nach § 2058 BGB i.V.m. § 412 BGB haften. So können z.B. Nacherben mit unmittelbaren eigenen Erben eines Vorerben zusammentreffen.
Der Erbe kann die Erbschaft unabhängig von der Last des Kostenersatzes ausschlagen. Die Ausschlagung ist auch dann nicht sittenwidrig, wenn sie zur Vermeidung der Kostenersatzpflicht dient.
Auch der (nicht befreite) Vorerbe (§§ 2100 ff. BGB) ist Erbe i.S.d. Vorschrift. Das BVerwG hat seine Haftung mit dem realen Wert des Nachlasses, also der Differenz zwischen dem in Geld zu veranschlagenden Aktivbestand und den Passiva im Zeitpunkt des Erbfalls, bejaht. Eine Beschränkung auf den Wert, der sich aus der bloßen ordnungsgemäßen Nutzung des Nachlasses ergibt, kommt nicht in Betracht. Der Nacherbe muss der Freigabe der Mittel durch den nicht befreiten Vorerben als Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit zustimmen.
bb) Der Erbe des vorversterbenden Ehegatten/Lebenspartners der leistungsberechtigten Person
Rz. 596
Die Kostenersatzpflicht des Erben des Ehegatten/des Lebenspartners entsteht, wenn dieser
Diese Regelung produziert Ergebnisse, die z.T. beliebig wirken.
Rz. 597
Fallbeispiel 45: Die Erben der hälftigen Miteigentümer
Die Ehegatten M und F sind hälftige Miteigentümer eines Wohnhauses, das der Ehemann M bis zu seinem Tod bewohnt. Die Ehefrau F ist in einem Pflegeheim untergebracht. Die Kosten für die Unterbringung muss der Sozialhilfeträger mangels eigenen Einkommens bzw. verwertbaren Vermögens (§ 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII) beider Ehegatten übernehmen.
1. Alternative: M stirbt zuerst und F ist Alleinerbin. Es gibt keine Abkömmlinge.
2. Alternative: M stirbt zuerst. Seine Kinder aus erster Ehe erben aufgrund Erbeinsetzung. F ist enterbt.
3. Alternative: F stirbt zuerst. M ist Alleinerbe. Es gibt keine Abkömmlinge.
4. Alternative: F stirbt zuerst. Ihre Kinder aus erster Ehe erben aufgrund Erbeinsetzung. M ist enterbt.
Rz. 598
Falllösung Fallbeispiel 45:
1. Alternative: Stirbt der Ehemann M zuerst und wird die Leistungsberechtigte F seine Erbin, so ist dies kein Fall der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung. Der leistungsberechtigten Ehefrau F fließt aus dem Erbe ihres Ehemannes M Einkommen zu, das sie fortan vorrangig für die eigene Bedarfsdeckung in der Zukunft einzusetzen hat. Es wandelt sich nach § 82 Abs. 7 SGB XII nach Ablauf des Verteilzeitraums von sechs Monaten in Vermögen um. Außerdem verliert ihr eigener Miteigentumsanteil seinen Schoncharakter, weil die Immobilie nicht mehr selbst bewohnt wird. Die Anrechnung beginnt, sobald Mittel real zufließen. Sozialhilfe entfällt, weil keine Bedürftigkeit mehr besteht. Kosten der Sozialhilfe der Vergangenheit sind nicht zu ersetzen. Verstirbt die Ehefrau kurz nach dem Ehemann, sind deren Erben zwar mit den Kosten der Sozialhilfe belastet. Davon wird der Sozialhilfeträger aber kaum Kenntnis erlangen.
2. Alternative: Wie zuvor verliert der Miteigentumsanteil der F ihren Schonvermögenscharakter. Das insoweit verwertbar werdende Vermögen wirkt auf die Bedürftigkeit in der Zukunft und M wird mutmaßlich aus dem Sozialhilfebezug herausfallen.
Die Erben des M sind mit der sozialhilferechtlichen Erbenhaftung für die sozialhilferechtlichen Leistungen an die F aus der Vergangenheit belastet, die keine Grundsicherung darstellen. Die Unterbringungskosten in stationärer Heimpflege gliedern sich auf in unterschiedliche existentielle Leistungen und die Fachleistung "Hilfe zur Pflege" (§§ 61 ff. SGB XII). Die Grundsicherungsleistungen müssen also aus der Kostenforderung eliminiert werden.
Weil die Leistungsberechtigte F nicht Erbin ihres Ehemannes wird, hat sie in der Regel gegen den/die Erben des Ehemannes M einen Pflichtteilsanspruch (§ 2303 BGB), der ebenfalls sozialhilferechtlich relevantes Einkommen für den Bedarf der Zukunft darstellt. Diese Option greift aber nur dann, wenn der Nachlass ausreicht, um alle Forderungen zu erfüllen. Reicht die Nachlassmasse nicht zur Begleichung aller Verbi...