Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 498
Für die zivilrechtliche Bewertung der Wirksamkeit bzw. des Wirksamwerdens eines Pflichtteilsverzichts kann sich die Frage stellen, ob ein solcher Verzicht ohne Gegenleistung wirksam sein kann.
Grundsätzlich sind Pflichtteilsverzichte ohne Abfindung wirksam. In einzelnen Fallkonstellationen kann eine Abfindung als Gestaltungselement ausdrücklich gewünscht sein; in anderen Gestaltungskonstellationen kann die fehlende Abfindung ein Problem sein. sein.
(1) Pflichtteilsverzicht eines Geschäftsfähigen mit Gegenleistung
Rz. 499
Der (wirksame) Pflichtteilsverzicht ist das Mittel der Wahl, um bei geschäftsfähigen behinderten Bedürftigen im Sinne des SGB XII frühzeitig Gestaltungen zu schaffen, die dem Bedürftigen einen Nutzen zu Lebzeiten des Erblassers schaffen und Sozialhilferegress ganz oder teilweise ausschalten.
Beispiel: Die Finanzierung aufwändiger therapeutischer Maßnahmen für einen Behinderten, die die Krankenkasse nicht trägt, die vom gesetzlichen Anspruch auf den angemessenen Unterhalt nicht abgedeckt werden und auch von der Eingliederungshilfe nicht ohne Einsatz von Einkommen und/oder Vermögen finanziert werden.
Rz. 500
Fallbeispiel 37: Der mit "warmen" Händen geschaffene Nutzen
Die Tochter T bezieht Grundsicherung nach §§ 41 ff. SGB XII und ergänzende Hilfe zur Pflege nach §§ 61 ff. SGB XII. Sie ist geschäfts- und testierfähig. Sie benötigt ein behindertengerecht umgebautes Fahrzeug. (Aufwand 100.000 EUR.) Kfz-Hilfe im Sinne der Eingliederungshilfe (§§ 90 ff. SGB IX) steht nicht zu. Die Eltern würden die Finanzierung übernehmen, wollen aber im Gegenzug testamentarische Gestaltungsfreiheit und einen Verzicht auf evtl. Pflichtteilsansprüche.
Hier würde sich ein Pflichtteilsverzicht gegen die Überlassung des behindertengerecht umgebauten Pkw anbieten.
Rz. 501
Falllösung Fallbeispiel 37:
Fürchtet man, dass die Übereignung des Pkw als "Geldeswert" im Sinne von § 82 SGB XII oder auch wegen Härte nicht geschonten Vermögens (§ 90 Abs. 3 SGB XII) zur Leistungsversagung durch den Sozialhilfeträger führt, so kann man davon absehen und nur die Nutzung zur Verfügung stellen und durch letztwillige Verfügung über den Tod hinaus absichern. Maximal wäre mit der Zuwendung der Nutzung der Mobilitätsanteil im Regelbedarf gedeckt, was nach den Ausführungen des Gesetzgebers anlässlich der SGB II-Reform aber keine Folgen zeitigen dürfte:
Zitat
"Die Prüfung (von bedarfsdeckenden Bestandteilen des Regelbedarfs) war außerdem aus systematischen Gründen widersprüchlich, weil der Regelbedarf als pauschalierte Geldleistung grundsätzlich nicht in seine Bestandteile aufgeschlüsselt werden kann." … Zudem ist die Berücksichtigung von Sachwerten als Einkommen unbillig, wenn der gleiche Gegenstand, wäre er bereits bei Antragstellung vorhanden gewesen, nicht als Vermögen zu berücksichtigen gewesen wäre.
(2) Pflichtteilsverzicht durch einen Betreuer?
Rz. 502
Auch bei nicht geschäftsfähigen Betroffenen kann der Versuch gemacht werden, mit ihrem Vertreter über einen Pflichtteilsverzicht Gestaltungsfreiheit zu erhalten.
Ein Pflichtteilsverzicht durch einen Betreuer muss aber durch das Betreuungsgericht genehmigt werden. Ob eine solche Genehmigung erteilt wird, richtet sich derzeit noch nach § 1901 Abs. 2 BGB. Danach hat der Betreuer die Geschäfte so zu besorgen, wie es dem Wohl des Betreuten entspricht. Zum Wohl des Betreuten gehört auch die Möglichkeit, im Rahmen seiner Fähigkeiten sein Leben nach seinen eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Dem Betreuer obliegen erhöhte Nachforschungspflichten um zu vermeiden, dass rechtliche Konstrukte zu Lasten des Betreuten gebildet werden, nur um den Verzicht genehmigungsfähig zu machen.
Rz. 503
Bei der Genehmigung durch das Betreuungsgericht ist das Wohl des Betreuten Prüfungsmaßstab, nicht aber die Belange Dritter wie etwa potenzieller Erben. Das Betreuungsgericht trifft die Amtspflicht, den entscheidungserheblichen Sachverhalt sorgfältig aufzuklären und eine Gesamtabwägung aller Vor- und Nachteile vorzunehmen. Die Aufklärung muss sich auch auf die wirtschaftlichen Folgen des zu genehmigenden Rechtsgeschäfts und auf die daraus etwa drohenden finanziellen Nachteile erstrecken. Neben rein materiellen Interessen können aber unter Umständen auch eingreifende ideelle Interessen zu berücksichtigen sein. "Diese Aufklärung ist der Ermessensausübung bei der Entscheidung über den Genehmigungsantrag vorgelagert und schafft die tatsächlichen Grundlagen für eine fehlerfreie Betätigung des Ermessens." Ausgehend von den subjektiven Vorstellungen und Wünschen des Betroffenen als maßgeblichem Aspekt hat sich das Betreuungsgericht auf den Standpunkt eines verständigen, die Tragweite des Geschäfts überblickenden Volljährigen zu stellen. Es kann auch Erwägungen der Zweckmäßigkeit und Nützlichkeit anstellen. Maßgebender Gesichtspunkt ist das Gesamtinteresse, wie es sich zur Zeit der tatr...