Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 293
Der Herausgabeanspruch des Erben/Vermächtnisnehmers gegenüber dem Testamentsvollstrecker resultiert mit der h.M. aus der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses nach § 2216 BGB und nach anderer Ansicht aus der Beschränkung des Testamentsvollstreckers nach § 2208 BGB.
Schuldhafte Pflichtverletzungen des Testamentsvollstreckers gegen die Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung lösen Schadensersatzpflichten nach § 2219 BGB aus. Der Erbe kann den Testamentsvollstrecker auf Freigabe der Erträgnisse im Wege der Leistungsklage in Anspruch nehmen.
(1) Mit und ohne Verwaltungsanordnungen
Rz. 294
Die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung orientiert sich nach § 2216 Abs. 2 BGB zunächst an den Verwaltungsanordnungen des Erblassers, die der Testamentsvollstrecker als bindende Richtlinie seiner Amtsführung auch gegen den erkennbaren Willen des Erben zu beachten hat. Ohne Verwaltungsanordnungen gehört die Herausgabe von Mitteln zum Lebensunterhalt und zur Erfüllung nachlassbedingter Steuern zur ordnungsgemäßen Verwaltung. Der Testamentsvollstrecker kann in Einzelfällen sogar zu einer Belastung oder Veräußerung von Nachlassgegenständen verpflichtet sein:
Zitat
"Ist eine Dauertestamentsvollstreckung angeordnet, erfasst diese allerdings auch die aus der Vorerbschaft erwirtschafteten Erträge. Ob und in welchem Umfang der Testamentsvollstrecker die Erträge an den Vorerben auszahlen muss, bestimmt sich vorrangig nach den Verwaltungsanordnungen, die der Erblasser in der letztwilligen Verfügung festgelegt hat. Finden sich dort … keine entsprechenden Regelungen, bestimmt sich dies nach § 2216 Abs. 1 BGB. Der Testamentsvollstrecker ist demnach – außerhalb des Anwendungsbereichs des § 2338 Abs. 1 S. 2 BGB – grundsätzlich befugt, Erträge zu thesaurieren. Nutzungen sind jedoch an den Erben herauszugeben, soweit dies zur Bestreitung des angemessenen Unterhalts des Erben sowie zur Begleichung fälliger Steuerschulden erforderlich ist."
Rz. 295
Aus den Ausführungen der Rechtsprechung bleibt als Ergebnis festzuhalten, dass die Anordnung einer Dauertestamentsvollstreckung in einem sog. Behindertentestament nicht per se zum Ausschluss von Herausgabeansprüchen führt:
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Das LSG NRW nimmt in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des BGH zur Freigabe von Mitteln für die Betreuervergütung aus dem Nachlassvermögen in Bezug. Danach ist ein Herausgabeanspruch zu bejahen, wenn sich aus dem Testament kein Hinweis auf ein Verwendungsverbot findet. Der Testamentsvollstrecker sei zwar grundsätzlich befugt, Erträge aus dem Nachlass zu thesaurieren. Soweit dies zur Bestreitung des angemessenen Unterhalts des Erben sowie zur Begleichung fälliger Steuerschulden erforderlich sei, seien die Nutzungen herauszugeben. |
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Das LSG NRW weist in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich auf andere – umstrittene und bisher nicht entschiedene – Fallkategorien zur Herausgabe- und Verwertungspflicht hin, nämlich:
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die Herausgabe von Nutzungen, die über das hinausgehen, was der Testamentsvollstrecker dem Behinderten aufgrund der testamentarischen Anordnung des Erblassers (jährlich) zuwendet, d.h. in besonderen Fällen soll der Überschuss der jährlich nicht verbrauchten Nutzungen an den Vorerben herauszugeben sein, so dass der Sozialhilfeträger darauf zugreifen kann |
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Herausgabe des nach Erfüllung der zusätzlichen Unterhaltsleistungen noch nicht verbrauchten Erträge bei besonders hohem Nachlass, wenn der Wert der Vorerbschaft des Behinderten so groß ist, dass dessen Früchte zur Deckung seines Unterhalts ganz oder teilweise ausreichen. |
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Rz. 296
Hinweis
Wenn dem Testamentsvollstrecker bei einem Behinderten-/Bedürftigentestament mit klassischer Vorerbschaft und Nacherbschaft die Befugnis eingeräumt wird, auch auf die Substanz des Vermögens zuzugreifen, soll ohne weitere präzisierende Verwaltungsanordnungen die Gefahr bestehen, dass die Herausgabe der Mittel an den Sozialhilfeträger verlangt werden kann. "Beträge im angemessenen Umfang" mit Hinweis auf die Realisierung einer sachgerechten Berufsausbildung und ohne jede weitere Begrenzung führen unmittelbar in den Herausgabeanspruch und seine sozialhilferechtliche Einsatz- und Verwertungspflicht.
Zu allem, was der Erblasser ausdrücklich will und was er nicht will – wie z.B. die Finanzierung einer Betreuung – sollte deshalb ausdrücklich eine Regelung im Testament enthalten sein, um die Gefahr sozialhilferechtlich relevanter und bedarfsdeckungsgeeigneter Herausgabeansprüche zu vermeiden.