Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 538
Die Anzahl der Entscheidungen, bei denen es um frühzeitig verbrauchte bzw. verprasste Erbschaftsmittel geht, steigt an. Die meisten Entscheidungen stammen allerdings aus dem SGB II, so dass auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen wird.
Dem Grunde nach kann man zwei Fallkonstellationen unterscheiden:
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der vorzeitige Verbrauch von zufließenden Mitteln wegen Schuldentilgung |
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das "Verprassen". |
Ein Hilfebedürftiger ist grundsätzlich verpflichtet, seine Mittel für sich zu verwenden. Das gilt sogar dann, wenn er sich dadurch außerstande setzt, bestehende Verpflichtungen zu erfüllen. Er muss unnötig eingegangene Verpflichtungen so schnell wie möglich rückgängig machen bzw. er darf freiwillig eingegangene Verpflichtungen nicht erfüllen. Ein Verstoß gegen diese Obliegenheiten kollidiert mit den Prinzipien der Selbsthilfe und dem Nachranggrundsatz. Aber: Darf der Staat im Existenzsicherungsrecht den Verstoß durch Leistungsverweigerung oder Kostenersatz ahnden? Das BVerfG hält das für eine außerordentliche Belastung, die strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit unterliegt; "der sonst weite Einschätzungsspielraum zur Eignung, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit von Regelungen zur Ausgestaltung des Sozialstaates ist hier beschränkt."
Rz. 539
Zum Grundprinzip, dass im Existenzsicherungsrecht nicht nach den Gründen der Bedürftigkeit gefragt wird, hat auch schon das BVerwG entschieden: "Sozialhilfe kann nochmals beanspruchen, wer sie schuldhaft anders als zur Deckung seines Bedarfs ausgegeben hat."
Die Verweigerung existenzsichernder Leistungen aufgrund einer unwiderleglichen Annahme, dass die Hilfebedürftigkeit bei bestimmtem wirtschaftlichem Verhalten – z.B. dem Verbrauch eigener Mittel in bestimmten monatlichen Teilbeträgen – abzuwenden gewesen wäre, ist mit Art. 1 GG i.V.m. Art. 20 GG nicht vereinbar. Es ist also nicht zulässig, jemanden darauf zu verweisen, dass er jetzt eine bestimmte Anzahl von Monaten mit dem ererbten Geld auskommen müsse. Das gesetzgeberische Grundprinzip ist, dass Einkommen nicht "fiktiv" berücksichtigt werden darf, sondern tatsächlich geeignet sein muss, Hilfebedürftigkeit zu beseitigen.
Rz. 540
Fazit:
Werden Mittel "verprasst", muss zunächst trotzdem weiter geleistet werden. Erst nachträglich kann durch Versagung (§ 41 Abs. 4 SGB), Kostenersatz (§ 103 SGB XII) oder Leistungskürzung (§ 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII) darauf reagiert werden. Anders ist das nur, wenn die Rechtslage im Nachhinein betrachtet wird und damit nicht mehr auf eine Notlage reagiert werden muss.