Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 427
Der Übergang ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann. Der Sozialleistungsträger kann daher z.B. auch Pflichtteilsansprüche ohne weiteres auf sich überleiten.
Rz. 428
Fallbeispiel 34: Übergeleiteter Pflichtteilsanspruch aus einem fehlgeschlagenen Behindertentestament
Eltern hatten ein gemeinschaftliches Ehegattentestament errichtet, in dem sie sich wechselseitig auf den Tod des Erstversterbenden als alleinige Erben eingesetzt hatten. Als Erben des Letztversterbenden wurden die acht Kinder bestimmt. Nacherben sollen deren Abkömmlinge sein. Bezüglich des Erbteils der behinderten und Sozialhilfeleistungen (damals noch ausschließlich SGB XII-Leistungen!) beziehenden Tochter wurde auf deren Lebzeiten Testamentsvollstreckung mit den klassischen Verwaltungsanordnungen des § 2216 Abs. 2 BGB angeordnet.
Für den Fall, dass eines der Kinder beim Tod des erstversterbenden Elternteils den Pflichtteil verlangen sollte, wurde dieses Kind beim Tod des letztversterbenden Elternteils ebenfalls auf den Pflichtteil gesetzt.
Die zur Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen eingesetzte Betreuerin der behinderten Tochter verweigerte dies auf den ersten Todesfall und wies darauf hin, dass die Behinderte davon keinen Nutzen habe, sondern den Schaden, dann auf den zweiten Erbfall enterbt zu sein.
Der Sozialhilfeträger leitete die Pflichtteilsansprüche nach dem zuerst verstorbenen Vater und der kurz danach nachverstorbenen Mutter deshalb auf sich über und macht diese vor dem Zivilgericht geltend.
Rz. 429
Der BGH hat die seit langen Jahren bestehende einhellige Meinung bestätigt, dass der Pflichtteilsanspruch durch den Sozialhilfeträger übergeleitet werden kann und im Hinblick auf die bis dato streitige Frage, ob er diesen auch ohne oder gegen den Willen des Hilfebedürftigen in Anspruch nehmen könne, entschieden, dass es auf den Willen des Hilfebedürftigen nicht ankomme.
Damit erteilt der BGH denjenigen Auffassungen eine Absage, die aus § 852 Abs. 1 ZPO ableiten, dass es entscheidend darauf ankomme, dass der Pflichtteilsberechtigte oder sein gesetzlicher Vertreter diesen Anspruch geltend mache oder seiner Verwertung zustimme. § 852 ZPO unterwirft den Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur dann, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden ist. Die Überleitungsvorschrift des § 93 Abs. 1 S. 4 SGB XII ignoriert aber Pfändungshindernisse genauso wie die Vorgängernorm des § 90 Abs. 1 S. 4 BSHG. Daraus leitet der BGH ab, dass die Überleitungsvorschriften ihres Sinnes beraubt würden, wenn man sie von einer persönlichen Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten abhängig machen würde. Der Sozialhilfeträger werde als Helfer des Sozialhilfeempfängers anders behandelt als andere Gläubiger des Pflichtteilsberechtigten. Der Pflichtteilsberechtigte müsse Pflichtteilsansprüche deshalb strikter einsetzen als beispielsweise ein Unterhaltsberechtigter. Dabei komme es auch nicht darauf an, dass der Sozialhilfeträger schon vor einer Entscheidung des Pflichtteilsberechtigten übergeleitet habe.
Ausdrücklich betont der BGH, dass sich auch kein anderes Ergebnis daraus herleiten ließe, dass der Sozialhilfeträger nach herrschender Meinung das Recht zur Ausschlagung einer etwa durch Nacherbfolge und Testamentsvollstreckung beschränkten Erbschaft nicht auf sich überleiten und ausüben könnte.
Rz. 430
Falllösung Fallbeispiel 34:
Das Kind mit Behinderung bezieht nachrangige Sozialleistungen des SGB XII (seit 1.1.2020 müssen für Eingliederungshilfeleistungen die Normen des SGB IX zusätzlich geprüft werden!) und hätte darauf keinen Anspruch, wenn es über ausreichendes anrechnungsfähiges eigenes Einkommen oder Vermögen verfügen würde. Der Pflichtteilsanspruch nach dem ersten Elternteil ist nach § 2317 BGB mit dem Erbfall kraft Gesetzes entstanden und sofort fällig geworden. Er stellt also im SGB XII (!) Einkommen und ggf. nach Ablauf des Verteilzeitraumes des § 82 Abs. 7 SGB XII Vermögen dar, das lediglich kein "bereites Mittel" im Sinne des Sozialhilferechtes ist, weil es erst realisiert werden muss. Mit dem Zufluss realisiert sich dann eine Forderung, die bedarfsmindernd anzurechnen ist.
Der BGH hat für die Fallgestaltung eines fehlgeschlagenen Behindertentestamentes durch Enterbung nach dem erstversterbenden Elternteil die Überleitung des Pflichtteilsanspruches nach dem erstversterbenden Ehegatten bestätigt und nur die Anordnungen auf den 2. Erbfall durch Auslegung der Pflichtteilsstrafklausel "gerettet". Die Gestaltung wird deshalb heute als Fehler bei der Gestaltung von Behindertentestamenten angesehen.
Hinweis
Wendt will die vorstehend zitierte Entscheidung zur Pflichtteilsstrafklausel noch einmal auf den Prüfstand stellen. Sein Ergebnis: Der Sozialhilfeträger darf auch auf den Tod den Erstversterbenden den Pflichtteil nicht geltend machen, weil er damit in die Erbfolge eingreift.
Er begründet das damit, dass mit einer Erbausschlagung, selbst w...