Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 120
§ 84 Abs. 1 SGB XII regelt die Freistellung von Zuwendungen bei der Anrechnung von Einkommen, die der Hilfebedürftige von der freien Wohlfahrtspflege erhält.
Als Zuwendungen kommen sowohl Geldleistungen als auch Sachleistungen in Betracht. Generell ist der Begriff der Zuwendung weit. Es kann sich um die Übertragung von Vermögensgegenständen handeln, aber z.B. auch um Aufwendungen für die Lebensführung, Schuldentilgung, Zuschüsse zu Urlaub und Gegenständen etc.
Rz. 121
In § 84 Abs. 2 SGB XII geht es um die Zuwendungen Dritter. Darin ist die Aussage enthalten, dass Zuwendungen Dritter grundsätzlich Einkommen des Hilfesuchenden sind und grundsätzlich zur Bedarfsdeckung heranzuziehen sind. § 84 Abs. 2 SGB XII ist eine Härtefallregelung der höchsten Kategorie ("besondere" Härte). § 84 Abs. 2 SGB XII nimmt freiwillige Zuwendungen Dritter, die ohne rechtliche oder sittliche Pflicht erbracht wurden, ausnahmsweise von den anrechenbaren Einkünften aus, soweit ihre Berücksichtigung eine besondere Härte darstellen würde. Was darunter im Einzelnen zu verstehen ist, ist fraglich.
Rz. 122
Die Fallgestaltungen aus der Rechtsprechung zeichnen sich nicht durch eine einheitliche Linie aus:
Eine nach dem Zeitpunkt des Eintritts der Bedürftigkeit einsetzende, bedarfsdeckende Hilfe Dritter wirkt nach einer Entscheidung des BVerwG ohne weiteres anspruchsvernichtend, wenn der Dritte sie endgültig, d.h. als "verlorenen Zuschuss" (z.B. durch Schenkung) leistet.
Im Fall eines "geschenkten Pkw" sah das BVerwG keine Einschränkung dahingehend, dass ein unentgeltlich erworbener Gegenstand nicht einsatzpflichtig sein sollte (damals als Vermögen bewertet worden) und hat hinzugefügt: "Insbesondere lässt sich nicht in einer verallgemeinerungsfähigen Weise sagen, dass ein Pkw, nur weil er einem Bedürftigen geschenkt worden ist, unter dem Gesichtspunkt der Härte von einem Vermögenseinsatz auszunehmen wäre."
Rz. 123
Hinweis
Für die Freigabe von Mitteln aus einem Behindertentestament sieht die Kommentarliteratur keine Besonderheiten. Einen allgemeinen Schutz gebe es nicht, soweit sich eine Nichtberücksichtigung nicht ausdrücklich aus § 84 Abs. 2 SGB XII herleiten lasse.
Zum Teil wird – ohne nähere Begründung – vertreten, es stelle eine besondere Härte dar, wenn die Leistung erkennbar zur Ergänzung der Sozialhilfe bestimmt gewesen sei oder die Zuwendung von der Nichtanrechnung auf die Sozialhilfe abhängig gemacht worden sei. Andere verlangen, dass die Zuwendung außer dem materiellen Wert auch einen immateriellen Wert für den Empfänger haben müsse und von dem Zuwendenden nicht erneut gewährt würde, wenn der Träger der Sozialhilfe die Zuwendung leistungsmindernd berücksichtigen würde. Wieder andere weisen darauf hin, dass freiwillige Zuwendungen prinzipiell anzurechnen seien und Zuwendungen Dritter (z.B. durch Stiftungen) deshalb zumindest z.T. anzurechnen seien, selbst wenn bestimmt sei, dass die Leistung entfallen solle, wenn sie bei der Sozialhilfe angerechnet werde. Der Stiftungszuschuss zum behindertengerechten Umbau eines Pkw soll deshalb z.B. die Bedürftigkeit im Hinblick auf den Umbau nach einer Entscheidung des BSG entfallen lassen, weil dieser die Lage der Betroffenen so günstig beeinflusse, dass daneben Sozialhilfe nicht gerechtfertigt sei (§ 84 Abs. 1 SGB XII).
Rz. 124
In kaum einer Entscheidung wird bisher hinreichend diskutiert, dass die ausdrücklich zu einem bestimmten Zweck erbrachten Leistungen spezialgesetzlich in § 83 SGB XII geregelt sind. Grundsätzlich deutet das Normengefüge des SGB XII nach diesseitiger Ansicht eher darauf hin, dass es nicht entscheidend darauf ankommen kann, dass ein Zuwendungsgeber die Gewährung einer Leistung davon abhängig macht, dass sie nicht auf andere Leistungen anzurechnen ist, denn auch im Verhältnis zum Zuwendungsgeber gilt der Grundsatz des Nachrangs der Sozialhilfe. § 83 SGB XII nimmt die Zweckzuwendungen Privater ausdrücklich vom Schutz der Einkommensanrechnung aus. Sie argumentativ über § 84 Abs. 2 SGB XII wiedereinzuführen, scheint problematisch.
Rz. 125
Zusammenfassung
Zuwendungen Dritter aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht sind grundsätzlich nach § 84 Abs. 2 SGB XII nicht von der Berücksichtigung bei der Einkommensermittlung ausgenommen.
Schenkungen und Begünstigungen aufgrund von Erbfall unterfallen in der Regel entweder nicht dem Zuwendungsbegriff oder erfolgen aufgrund einer rechtlichen oder sittlichen Pflicht. § 84 Abs. 2 SGB XII scheidet daher als Schutznorm in der Regel aus.
Für die Zuwendungen Dritter ohne rechtliche oder sittliche Pflicht kann aktuell nicht rechtssicher davon ausgegangen werden, unter welchen Voraussetzungen ihre Berücksichtigung ganz oder teilweise eine besondere Härte für den Bedürftigen darstellt. Ob eine besondere Härte angenommen werden kann, weil der Zuwendende die Zuwendung davon abhängig macht, dass sie nicht in der Sozialhilfe berücksichtigt wird, wird unterschiedlich beantwortet, kommt nach diessei...