I. Vorstellungen des Unternehmers
Rz. 35
Die Herausarbeitung der Ziele des Unternehmers stellt sich in der Praxis deutlich schwieriger dar, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Denn in der Regel sind die Zielvorstellungen nicht eindimensional, sondern haben unterschiedliche Facetten, die nicht ohne Weiteres miteinander harmonieren. So wird oftmals die Übergabe des Unternehmens an einen einzigen Nachfolger bei wirtschaftlicher Gleichbehandlung aller Kinder angestrebt, obwohl der Wert des Unternehmens den des übrigen Vermögens um ein Vielfaches übersteigt.
Rz. 36
Vor diesem Hintergrund geht es zu Beginn noch gar nicht darum, dass der Unternehmer einen fix und fertigen, in sich schlüssigen Nachfolgeplan auf den Tisch legt. Vielmehr steht hier im Vordergrund, seine Wünsche und die aus seiner Sicht regelungsbedürftigen Themen zusammenzutragen und zu hinterfragen, warum ihm bestimmte Aspekte wichtig sind und welche Rolle sie für ihn spielen. Oft fällt in diesem Zusammenhang z.B. die Aussage, dass eine gerechte Behandlung sämtlicher Kinder gewünscht werde, ohne dass der Begriff der Gerechtigkeit hierbei näher erläutert würde. Die diesem Petitum zugrunde liegenden Vorstellungen können tatsächlich ganz unterschiedlich sein: Einerseits kann Gerechtigkeit als in Euro und Cent ausgedrückte Gleichbehandlung verstanden werden, andererseits aber auch als "bedarfsorientierte" Vermögensverteilung, bei der ein Kind, das sich aus eigener Kraft einen höheren Lebensstandard leisten kann, weniger aus dem elterlichen Vermögen erhält als die Schwester oder der Bruder, die nicht im gleichen Maße in der Lage sind, einen vergleichbaren Lebensstandard aus eigenem Einkommen zu finanzieren. Ebenso stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob verschiedene Arten von Vermögen nach gleichen Maßstäben zu bewerten sein sollen oder ob gerade bei der Bewertung des unternehmerischen Vermögens nicht ein Abschlag wegen der damit verbundenen Verpflichtungen (Einbindung ins operative Geschäft, Haftungsrisiken etc.) angemessen wäre.
Rz. 37
Pauschale Antworten auf diese Fragestellung gibt es natürlich nicht. Umso wichtiger erscheint es daher, die individuelle Sichtweise des Unternehmers herauszuarbeiten und im weiteren Verlauf auch bei den übrigen Beteiligten um Verständnis für eben diese Sichtweise zu werben.
Rz. 38
Abgesehen von diesen eher grundsätzlichen, wertebezogenen Grundeinstellungen stellt sich selbstverständlich auch die Frage, wen der Unternehmer konkret als Nachfolger ins Auge gefasst hat und welche Rolle er dem oder den Nachfolgern einräumen möchte. Sieht er einen oder mehrere Nachfolger in seiner Familie? Stellt er sich eine vollständige Übertragung der Verantwortung von einem Tag auf den anderen vor, oder soll es eine Überleitungsphase geben? Sollen mehrere in die operative Verantwortung nachrücken oder sollen einer bzw. einige (nur) "stille Gesellschafter" werden? Der Phantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt. Und oft wird der Unternehmer seine Gedanken zu diesen Themen auch als Fragen formulieren, weil er selbst noch unentschlossen ist, welcher Weg in seiner konkreten Situation wohl der beste wäre.
Rz. 39
Auch auf diese Fragen gibt es – jedenfalls in dieser Phase der Planung – (noch) keine, schon gar keine allgemeingültigen Antworten. Es ist aber wichtig, die Gesichtspunkte, die aus der Sicht des Unternehmers für die eine oder für die andere Variante sprechen, möglichst vollständig zu erfassen und aufzunehmen. Gleichzeitig sollte deutlich werden, dass seine aktuelle Unentschlossenheit kein Zeichen der Schwäche, sondern vielmehr seiner verantwortungsbewussten Herangehensweise ist.
Rz. 40
Nicht zu unterschätzen ist auch die Frage, was der Unternehmer nach erfolgreicher Umsetzung der Unternehmensnachfolge vorhat. Oft wird die Übergabe nicht nur dadurch gehemmt, dass der Unternehmer sich selbst für im Unternehmen unabkömmlich hält. Vielmehr fürchten viele auch, nach dem Ausscheiden aus dem Geschäft mit ihrer Zeit und mit sich selbst nichts anzufangen zu wissen. Die Unternehmensnachfolge bedarf daher nicht nur einer Perspektive für das Unternehmen und seine Führung, sondern auch einer für den Unternehmer und für die Gestaltung seines Lebensabends.
II. Vorstellungen der Familie
Rz. 41
Einsame Entscheidungen des Unternehmers führen im Bereich der Unternehmensnachfolge nur selten zum Erfolg. Mithin stellt sich die Frage, ob und inwieweit er das Thema Nachfolge – bezogen auf das Unternehmen oder allgemein – bereits im Kreise seiner Familie diskutiert hat und was – seiner Meinung nach – seine Angehörigen davon (von dem Thema allgemein sowie von den Vorstellungen des Unternehmers) halten. Soweit nicht zur Familie gehörende Bedachte in Betracht kommen, spielt selbstverständlich auch deren Haltung eine Rolle. Sind von der Nachfolgegestaltung voraussichtlich noch weitere Personen oder Institutionen (z.B. Finanzierungspartner) betroffen, kann auch ihre Zustimmung erforderlich sein.
Rz. 42
In erster Linie geht es aber um die Zielsetzung der von der Unternehmens- bzw. Vermögensnachfolge unmittelbar (bzw. in eine...