Michael Brix, Alexander Erbarth
Rz. 217
Wenn ein Zugewinnausgleichsverfahren noch nicht durchgeführt worden, aber absehbar ist, sollte vor der Geltendmachung von Gesamtschuldnerausgleichsansprüchen selbiges "antizipiert" werden, d.h., der den Anspruch stellende Ehegatte sollte tunlichst durchrechnen, ob er eine Forderung gegen den anderen Ehegatten auf Gesamtschuldnerausgleich nicht im Hinblick auf die damit einhergehende notwendige Einstellung dieser Forderung in die (spätere) Zugewinnausgleichsbilanz nicht ganz oder teilweise über den Zugewinnausgleich wieder zurückgeben muss, der also Gefahr läuft, einen Streit "um Kaisers Bart" zu führen.
Rz. 218
Die Problematik soll an dem nachfolgenden Rechenbeispiel verdeutlicht werden:
Beispiel
Beide Ehegatten habe gleichviel Vermögen während der Ehe erwirtschaftet, es ist bei jedem ein Kontoguthaben von 100.000 EUR vorhanden. Aufgrund eines nach der Trennung aber vor dem maßgeblichen Stichtag der Zustellung des Scheidungsantrags von der Ehefrau allein zurückgeführten Kredits, für den im Außenverhältnis beide Ehegatten haftbar waren, berühmt sich diese eines Ausgleichsanspruchs nach § 426 BGB gegen den Ehemann. Dem Grunde nach ist das Bestehen dieses Gesamtschuldnerausgleichsanspruchs der Ehefrau nicht streitig, wohl aber der Höhe nach; es sollen entweder 6.000 EUR oder 15.000 EUR sein.
Ausgehend davon, dass die Ehefrau gegen den Ehemann den einen oder den anderen Betrag in einem isolierten familiengerichtlichen Verfahre durchsetzt, hat dies für die zeitlich später liegenden Zugewinnausgleichsberechnungen gravierende Auswirkungen.
Rz. 219
Zunächst ist festzuhalten, dass ein Zugewinnausgleichsanspruch wechselseitig nicht besteht, da im Beispiel wegen der identischen Endvermögen und des Nichtvorhandenseins von Anfangsvermögen der während der Ehe erzielte Zugewinnausgleich identisch ist; jeder Ehegatte behält also an Vermögen das, was bei ihm zum Stichtag vorhanden war.
Rz. 220
Rechenbeispiel
Hat allerdings die Ehefrau einen Ausgleichsanspruch gegen den Ehemann in Höhe von 6.000 EUR durchgesetzt, ergibt sich für die Zugewinnausgleichsberechnungen folgendes:
Endvermögen Ehefrau |
100.000 EUR |
zzgl. Gesamtschuldnerausgleich gegen Ehemann |
+ 6.000 EUR |
ergibt |
106.000 EUR |
Endvermögen Ehemann |
100.000 EUR |
abzgl. Gesamtschuldnerausgleichsforderung der Ehefrau |
– 6.000 EUR |
ergibt |
94.000 EUR |
Differenz |
12.000 EUR |
davon ½ Zugewinnausgleichsanspruch des Ehemannes gegen die Ehefrau |
6.000 EUR |
Das Verfahren zur Durchsetzung des Gesamtschuldnerausgleichsanspruchs der Ehefrau gegen den Ehemann ist also wirtschaftlich vollkommen sinnlos geführt worden, da über den Zugewinnausgleich exakt der gleiche Betrag, den die Ehefrau vom Ehemann beanspruchen konnte, an diesen zurückzuzahlen ist.
Natürlich ändert sich das Ergebnis nicht dadurch, dass im Rahmen eines Gesamtschuldnerausgleichsverfahren statt 6.000 EUR sogar 15.000 EUR zugesprochen werden.
Rz. 221
Man kann generalisierend sagen, dass ein Gesamtschuldnerausgleichsanspruch immer dann wirtschaftlich obsolet ist, wenn zum einen im Rahmen der Beendigung des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft bei Beendigung der Ehe ein Zugewinnausgleichsverfahren durchgeführt werden kann – solches also z.B. durch die Vereinbarung von Gütertrennung nicht ausgeschlossen ist – und gleichzeitig feststeht, dass der in der Ehe von beiden Ehegatten jeweils erwirtschaftete Zugewinn identisch ist, weil die Endvermögen sich entsprechen und Anfangsvermögen bei Eheschließung nicht vorhanden war und auch "privilegierter Erwerb" nach § 1374 Abs. 2 BGB nicht vorliegt. Denn in diesen Fällen würde nur der durchgeführte Gesamtschuldnerausgleich überhaupt Bewegung in die ansonsten völlig ausgeglichenen Vermögensmassen der Ehegatten bringen und ein Geldbetrag als Aktivposten auf der einen Seite wird immer durch die Passivposition auf der anderen Seite neutralisiert.
Rz. 222
Anders ist dies naturgemäß, wenn die Klärung des Gesamtschuldnerinnenverhältnisses zu einer Ausgleichsforderung führt, die höher ist als der Zugewinnausgleichsanspruch des anderen Ehegatten.
Rz. 223
Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen:
Beispiel
Die Ehefrau hat zum Stichtag ein Geldvermögen von 50.000 EUR, es war kein Anfangsvermögen und kein "privilegierter Erwerb" gemäß § 1374 Abs. 2 BGB vorhanden. Aus einem Gesamtschuldverhältnis stehen der Ehefrau gegen den Ehemann 10.000 EUR als Ausgleich gemäß § 426 BGB zu.
Der Ehemann hat während der Ehe keinen Zugewinn erzielt, Anfangs- und Endvermögen sind gleichhoch.
Vernachlässigt man in diesem Beispiel den Gesamtschuldnerausgleichsanspruch, ergibt sich ein Zugewinnausgleichsanspruch des Ehemannes in Höhe von 25.000 EUR (½ von 50.000 EUR).
Bezieht man den Gesamtschuldnerausgleichsanspruch realisierend in die Betrachtungen ein, ergibt sich für die Ehefrau aber ein Zugewinn während der Ehe von 60.000 EUR (50.000 EUR eigenes Vermögen zzgl. 10.000 EUR Gesamtschuldnerausgleichsanspruch gegen Ehemann) und sie müsste die Hälfe davon, mithin 30.000 EUR als Zugewinnausgleich bezahlen. Parallel ...