Michael Brix, Alexander Erbarth
Rz. 47
Für die Gesamtschuld kennzeichnend ist – im Gegensatz zur Teilschuld –, dass jeden Schuldner originär die Verpflichtung zur ganzen Leistung trifft, er seine Verpflichtung gegenüber dem Gläubiger also nicht durch die Erbringung nur eines Teiles der Leistung erfüllt. Der Gläubiger kann die Leistung insgesamt aber nur einmal fordern. Die Wirkung der Erfüllung der Erbringung der Leistung durch (nur) einen Schuldner wirkt also vollumfänglich auch für die anderen Schuldner (§ 422 Abs. 1 S. 1 BGB).
Aus dieser Systematik folgt zwingend, dass nach Leistungserbringung durch (nur) einen Gesamtschuldner diesem im Innenverhältnis zu den anderen Schuldnern ein Ausgleichsanspruch zustehen muss. Für dessen Ausgestaltung sind primär die mit den anderen Gesamtschuldnern getroffenen Vereinbarungen maßgeblich. Gibt es solche nicht, gilt subsidiär § 426 BGB.
Rz. 48
Die Position des Gläubigers bei der Gesamtschuld ist für diesen überaus günstig, durch die Mehrheit von auf die Gesamtleistung jeweils einzeln haftbarer Schuldner ist der Anspruch des Gläubigers auch insgesamt mehrfach abgesichert. Im Gegensatz zur Teilschuld nach § 420 BGB wirkt sich für den Gläubiger ein wirtschaftlicher Ausfall eines oder mehrerer Schuldner nicht aus, wenn auch nur ein Gesamtschuldner zur Erfüllung des Leistungsanspruchs wirtschaftlich in der Lage ist. Den wirtschaftlichen Ausfall eines Gesamtschuldners tragen im Gesamtschuldnerausgleichssystem nicht der Gläubiger, sondern die anderen Gesamtschuldner (§ 426 BGB). Bei Teilschuld dagegen muss der Gläubiger den jeweiligen Teilschuldnern einzeln "hinterherlaufen", ohne dass ein Teilschuldner für den Verbindlichkeitsteil eines anderen Teilschuldners haftet. Fällt ein Teilschuldner wirtschaftlich aus, so wirkt sich das nur auf den Gläubiger, nicht aber auf die anderen Teilschuldner aus.
1. Entstehung der gesamtschuldnerischen Haftung
Rz. 49
Eine gesamtschuldnerische Haftung entsteht entweder durch Vertrag oder durch Gesetz.
a) Entstehung der gesamtschuldnerischen Haftung durch Vertrag
Rz. 50
Der häufigste Fall der Entstehung von Gesamtschuld durch Vertrag ist der Schuldbeitritt, wenn also in ein bereits bestehendes Schuldverhältnis ein zusätzlicher Schuldner neben dem bisherigen Schuldner eintritt. Nach § 421 BGB begründet dies Gesamtschuld. Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist der vertragliche Schuldbeitritt nicht, seine Zulässigkeit ergibt sich aber ohne weiteres aus dem Grundsatz der Privatautonomie.
Beispiele für eine Anordnung von Schuldbeitritt im BGB finden sich im Mietrecht (§ 546 Abs. 2), bei der Leihe (§ 604 Abs. 4) und im Erbrecht (§ 2382 Abs. 1 BGB). Verpflichten sich mehrere rechtsgeschäftlich gemeinsam zu einer teilbaren Leistung, so haften sie hierfür im Zweifel als Gesamtschuldner (§ 427 BGB).
Schulden mehrere eine unteilbare Leistung, zum Beispiel eine Unterlassung, Verschaffung von Eigentum oder eines Rechts oder Naturalherstellung gemäß § 249 Abs. 1 BGB, so begründet dies eine gesamtschuldnerische Verpflichtung (§ 431 BGB).
b) Entstehung gesamtschuldnerischer Haftung durch gesetzliche Tatbestände
Rz. 51
Die Miterben sind gesamtschuldnerisch haftbar für die Nachlassverbindlichkeiten, § 2058 BGB.
Sind mehrere aus unerlaubter Handlung zum Schadensersatz verpflichtet, so besteht gesamtschuldnerische Haftung, § 840 Abs. 1 BGB.
Gibt es mehrere Bürgen für dieselbe Hauptschuld, so sind sie gesamtschuldnerisch haftbar auch dann, wenn die Bürgschaft als solche nicht gemeinschaftlich übernommen worden ist.
Schließt ein Ehegatte ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie, so werden im Zweifel beide Ehegatten gesamtschuldnerisch verpflichtet, § 1357 Abs. 1 BGB). Wird ein Grundstück geteilt, haften die Eigentümer der einzelnen Teile für die Reallasten gesamtschuldnerisch, § 1108 Abs. 2 BGB.
c) Rechtsfolge der gesamtschuldnerischen Haftung
Rz. 52
Neben der Verpflichtung zur vollständigen Befriedigung des Gläubigers ergibt sich aus bestehender Gesamtschuld immer eine Ausgleichspflicht der Gesamtschuldner untereinander nach § 426 BGB.
2. Tatbestandliche Voraussetzungen der gesamtschuldnerischen Haftung
Rz. 53
Nach der Legaldefinition in § 421 BGB definiert sich die Gesamtschuld dahin, dass der Gläubiger die Leistung nur einmal zu fordern berechtigt ist und eine Mehrzahl von Schuldnern eine Leistung in der Weise schuldet, dass jeder von ihnen zur vollständigen Leistungsbewirkung verpflichtet ist. Hinzu tritt nach allgemeiner Meinung ein weiteres, ungeschriebenes Merkmal, die sogenannte "Gleichstufigkeit".
a) Mehrere Schuldner
Rz. 54
Mehr als ein Schuldner muss dem Gläubiger verpflichtet sein. Die Verpflichtung muss nicht auf demselben oder einem gleichartigen Rechts- bzw. Schuldgrund beruhen. Gesamtschuld liegt auch dann vor, wenn der eine Schuldner aus unerlaubter Handlung (§ 823 ff. BGB), der oder die anderen aber schuldrechtlich beispielsweise auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden.
b) Leistungsidentität
Rz. 55
Das Leistungsinteresse muss identisch sein. Geringe Differenzen bei Leistungsumfang und -inhalt sind unbeachtlich.
Bauunternehmer und Architekten haften bzgl. der Erstellung des Baus nicht gesamtschuldnerisch.
Dagegen ist wegen Bauwerkmängeln Gesamtschuld gegeben, auch dann, wenn die Leistungsverpflichtung des Architekten auf BGB-Regeln beruht, der Bauunternehmer dagegen nach den Regeln der VOB/B haftbar is...