Sabine Jungbauer, Dipl.-Ing. Werner Jungbauer
Rz. 128
Nach § 130d S. 3 ZPO soll die Glaubhaftmachung möglichst gleichzeitig mit der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach erfolgen. Der Gesetzgeber äußert sich zum "Zeitfenster" wie folgt:
Zitat
"Jedoch sind Situationen denkbar, bei denen der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen. In diesem Fall ist die Glaubhaftmachung unverzüglich (ohne schuldhaftes Zögern) nachzuholen."
Rz. 129
Das ArbG Lübeck hielt die Glaubhaftmachung erst zwei Wochen später für nicht mehr ausreichend. Dieser Auffassung stimmen wir zu.
Rz. 130
Was noch als unverzüglich gelten kann, wird von Gerichten teilweise jedoch sehr streng ausgelegt. Dies zeigen erste Entscheidungen. In einem Fall wurde einem Rechtsanwalt die rückwirkende Heilung versagt, weil nach Ansicht des Gerichts die Glaubhaftmachung am Tag nach Fristablauf nicht mehr als unverzüglich angesehen werden konnte, nachdem die Ersatzeinreichung am Tag des Fristablaufs bereits gegen 10.00 Uhr morgens erfolgte. Das Gericht sah dabei die möglichst gleichzeitige Glaubhaftmachung als Regelfall an und nur für den Fall, dass eine solche z.B. wegen drohenden Fristablaufs kurz vor Mitternacht nicht mehr möglich ist, diese z.B. am nächsten Morgen nachgeholt werden könnte.
Rz. 131
Das Schleswig-Holsteinische OVG wendet § 55d S. 3 VwGO (entsprechend § 130d S. 3 ZPO) recht restriktiv an, wie die nachfolgende Entscheidung zeigt:
Zitat
"1. Die aktive Nutzungspflicht der elektronischen Form (§ 55d Satz 1 VwGO) ist nicht von einem weiteren Umsetzungsakt abhängig und gilt ab dem 1.1.2022 für sämtliche Verfahren einschließlich solcher, die bereits zuvor anhängig gemachten wurden."
2. Die (rechtzeitige) Einhaltung der in § 55d Satz 1 VwGO vorgeschriebenen Form ist eine Frage der Zulässigkeit und daher von Amts wegen zu beachten; sie steht nicht zur Disposition der Beteiligten.
3. § 55d Satz 3 VwGO enthält eine einheitliche Heilungsregelung. Unerheblich ist, ob die Ursache für die vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung in der Sphäre des Gerichts oder in der Sphäre des Einreichenden zu suchen ist. Die Möglichkeit der Ersatzeinreichung ist verschuldensunabhängig ausgestaltet.
4. Die vorübergehende technische Unmöglichkeit ist vorrangig zugleich mit der Ersatzeinreichung glaubhaft zu machen. Lediglich dann, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, genügt eine unverzügliche Glaubhaftmachung (§ 55d Satz 4 VwGO).“
Rz. 132
Der Fall:
Gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 15.12.2021 wurde fristgerecht am 29.12.2021 gem. § 147 Abs. 1 VwGO Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung hätte gem. §§ 55d, 146 Abs. 4 S. 1 VwGO innerhalb eines Monats, somit bis zum Montag, 17.1.2022, beim OVG eingehen müssen. Aufgrund § 55d VwGO, der zum 1.1.2022 in Kraft getreten ist, hätte die Einreichung in elektronischer Form erfolgen müssen. Eingelegt wurde jedoch per Fax. Nach der richtigen Ansicht des OVG gilt die Einreichpflicht auch für solche Verfahren, die vor dem 1.1.2022 anhängig gemacht worden sind.
Rz. 133
Die Entscheidung:
Wie der Gesetzgeber selbst hält auch das Schleswig-Holsteinische OVG fest, dass es sich bei der elektronischen Einreichung um eine zwingende Prozessvoraussetzung handelt, die von Amts wegen zu beachten ist und nicht zur Disposition der Beteiligten steht.
Der Prozessbevollmächtigte trug am 19.1.2022 zu seiner Entschuldigung vor, dass es Probleme bei der "Nutzung des Internets" mit dem einzigen PC gegeben hatte. Richtig wendet das Schleswig-Holsteinische OVG ein, dass der Ursprung der technischen Störung nicht zu eruieren ist, da die Möglichkeit der Ersatzeinreichung verschuldensunabhängig ausgestaltet ist und lediglich die unverzügliche Glaubhaftmachung der technischen Störung als solche verlangt wird. Nach Ansicht des Schleswig-Holsteinischen OVG wurde jedoch im vorliegenden Fall die vorgetragene vorübergehende technische Unmöglichkeit nicht rechtzeitig glaubhaft gemacht. Nach dem Gesetzeswortlaut muss diese "bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach" erfolgen. Vorrangig ist daher die Glaubhaftmachung mit der Ersatzeinreichung vorzunehmen. Lediglich für die Fälle, wenn der Rechtsanwalt erst kurz vor Fristablauf feststellt, dass eine elektronische Einreichung nicht möglich ist und bis zum Fristablauf keine Zeit mehr verbleibt, die Unmöglichkeit darzutun und glaubhaft zu machen, kann er die Glaubhaftmachung unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, nachholen.
Rz. 134
Da sich die technischen Probleme bereits am Freitag, den 14.1.2022, gezeigt hatten und die Einreichung per Fax am 17.1.2022 um 09:59 Uhr übermittelt wurde, hätte hier die Glaubhaftmachung am selben Tag erfolgen können. Da...