Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 27
Die Ausschlagung ist in vielen Fällen zur "Verteidigung" des eigenen Pflichtteils unerlässlich, insb. wenn der pflichtteilsberechtigte Erbe mit einem hohen Vermächtnis belastet ist. Es muss immer wieder betont werden, dass § 2318 Abs. 3 BGB ihn gegen die Inanspruchnahme aus Vermächtnissen nicht schützt.
Beispiel
Witwer W hinterlässt nur einen Abkömmling, den Sohn S, und 100.000 EUR. Er setzt ihn zwar zum Alleinerben ein, belastet ihn aber mit einem Vermächtnis i.H.v. 60.000 EUR. Schlägt S nicht aus, muss er das Vermächtnis voll erfüllen, so dass ihm 40.000 EUR verbleiben. Schlägt er aus, so erhält er seinen Pflichtteil i.H.v. 50.000 EUR, also 10.000 EUR mehr.
Rz. 28
Die Erbschaft fällt nach § 1953 Abs. 2 BGB demjenigen an, welcher von vornherein als Erbe berufen gewesen wäre, wenn der Ausschlagende im Zeitpunkt des Erbfalls nicht gelebt hätte. Wer dann als Ersatzerbe berufen ist, ergibt sich aus einer ausdrücklichen Anordnung des Erblassers, hilfsweise u.U. aufgrund einer Auslegung des Erblasserwillens oder einer gesetzlichen Auslegungs- oder Ergänzungsregel. Ist eine Ersatzerbfolge zu verneinen, so tritt Anwachsung ein, wenn anzunehmen ist, dass die gesetzliche Erbfolge durch die angeordnete gewillkürte Erbfolge ausgeschlossen sein sollte (§ 2094 BGB). Jedoch findet bei einer Ausschlagung des Nacherben zur Pflichtteilserlangung die Auslegungsregel des § 2069 BGB regelmäßig keine Anwendung, wenn es durch Pflichtteilszahlung und Ersatzerbberufung zu einer Doppelbegünstigung des Stammes des Ausschlagenden kommt. Dieser Erfahrungssatz kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn kein abweichender Erblasserwille feststellbar ist; es ist daher auch hier die individuelle Auslegung vorrangig. Für ein Nachrücken der Ersatzberufenen des gleichen Stammes spricht aber, wenn alle zunächst Berufenen ausschlagen, also etwa alle zu Erben eingesetzten Kinder des Erblassers bei einem nachträglich vereinbarten Generationensprung. Diese zur Ausschlagung des Nacherben entwickelten Grundsätze hat das OLG München zu Recht auch bei einer Ausschlagung des Vorerben angewandt. In Anwendung der Auslegungsregel des § 2102 Abs. 2 BGB tritt dann grundsätzlich der Nacherbe, auch wenn er ein Abkömmling des Vorerben ist, als Ersatzerbe für den Vorerben ein, wenn kein abweichender Erblasserwille feststellbar ist. Das OLG hat dabei zutreffend auf die Verpflichtung des aufrückenden Nacherben zur Tragung der Pflichtteilslast im Innenverhältnis entsprechend § 2320 BGB hingewiesen (siehe dazu Rdn 29) und dass dadurch eine Doppelbegünstigung des gleichen Stammes vermieden wird.
Praxishinweis
Eine ausdrückliche Regelung der Ersatzerbfolge gerade für den Sonderfall der Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft ist dringend angezeigt.
Rz. 29
Für die Tragung der Pflichtteilslast im Innenverhältnis der Erben ist § 2320 BGB zu beachten, insb. dessen Abs. 2. Demnach trägt diese der durch die Ausschlagung zum Zuge kommende Ersatzmann. Die Beschränkungen und Beschwerungen bleiben zunächst bestehen und gehen auf den Ersatzerben über, sofern sie nicht ausdrücklich nur den Ausschlagenden betreffen sollten. Jedoch ist diesbezüglich bei Vermächtnissen und Auflagen das Kürzungsrecht nach § 2322 BGB zu beachten: Die auf dem Erbteil ruhenden Beschwerungen kann der statt des ausschlagenden Pflichtteilsberechtigten berufene Erbe insoweit kürzen, als dies erforderlich ist, um den Pflichtteilsanspruch, den er zu tragen hat, zu erfüllen. Dies führt zu dem überraschenden Ergebnis, dass dann dem Pflichtteil des Ausschlagenden der Vorrang vor den Belastungen eingeräumt wird, während bei der Annahme der Erbschaft dem durch die Belastung Begünstigten (etwa Vermächtnisnehmer) der Vorrang vor dem Pflichtteil des pflichtteilsberechtigten Erben eingeräumt wird. Allerdings darf die Reichweite des Kürzungsrechts nicht überschätzt werden: Der Ersatzmann darf die Vermächtnisse und Auflagen nur in dem Maße kürzen, dass die ihn treffende Pflichtteilslast gedeckt ist, weil mutmaßlich der Erblasser ihm, der erst infolge der Ausschlagung zum Erben berufen wurde, nicht auf Kosten des Vermächtnisnehmers Nachlasswerte zukommen lassen will. Zu beachten ist weiter, dass der durch die Ausschlagung Nächstberufene seinerseits nicht das Ausschlagungsrecht nach § 2306 Abs. 1 BGB hat.
Praxishinweis
Vor jeder Ausschlagung zur Pflichtteilserlangung nach § 2306 Abs. 1, 2 BGB sind die dann eintretenden Folgen genau zu prüfen:
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Wer ist zum Ersatzerben im Falle der Ausschlagung berufen? Evtl. Anwachsung? |
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Wer trägt dann die Pflichtteilslast? Bestehen Kürzungsrechte nach § 2322 BGB? |