Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 83
Der Pflichtteilsanspruch ist nach § 852 Abs. 1 ZPO ohne Einschränkung pfändbar, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig (§ 261 ZPO) gemacht wurde. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Pflichtteilsanspruch wegen seiner familienrechtlichen Grundlage nicht gegen den Willen der Beteiligten geltend gemacht wird. Dabei liegt eine Anerkennung durch Vertrag in diesem Sinne in jeder auf die Feststellung des Pflichtteilsanspruchs zielenden Einigung. Sie muss jedoch zwischen dem Erben und dem Pflichtteilsberechtigten erfolgen und den Willen des Berechtigten zur Pflichtteilsgeltendmachung erkennen lassen. Eine Schriftform ist nicht erforderlich. Sogar die Höhe kann offen bleiben, wenn der Wille zum Ausdruck kommt, den Anspruch in voller sich ergebender Höhe geltend machen zu wollen. Auch in einer Sicherungsabtretung, Verpfändung oder sonstigen Belastung des Pflichtteilsanspruchs ist ebenfalls eine vertragliche Anerkennung zu sehen, obwohl in diesen Fällen der Pflichtteilsschuldner keine eigene Erklärung abgibt und damit auch keine vertragliche Anerkennung aussprechen kann. Dieser h.M. ist deshalb zuzustimmen, weil nach derartigen Rechtshandlungen der Anspruch nicht mehr durch seinen familiären Bezug gekennzeichnet und somit der Schutzzweck des § 852 ZPO entfallen ist.
Rz. 84
Wird vor Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 852 ZPO ein schenkungsweiser Erlass (§ 397 BGB) vereinbart, so ist dies gerade keine Geltendmachung, weil darin nur formal eine Verfügung über den Pflichtteilsanspruch liegt, der Pflichtteilsberechtigte dadurch aber nur letztlich zum Ausdruck bringt, dass er seinen Pflichtteilsanspruch nicht verwirklichen will. Dies muss der Gläubiger genauso hinnehmen, wie wenn der Pflichtteilsberechtigte nur auf Dauer die Geltendmachung des Anspruchs unterlässt. Erfolgt der Erlass gegen eine Abfindungsleistung, wird darin teilweise der Wille des Pflichtteilsberechtigten gesehen, seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen. Dies ist aber nur in Höhe der vereinbarten Abfindung zutreffend.
Rz. 85
Um den Gläubiger vor Manipulationen bezüglich des Pflichtteilsanspruchs zu schützen, hat der BGH über den Wortlaut des § 852 ZPO hinausgehend die Pfändung erleichtert. Bereits vor der Anerkennung oder Rechtshängigkeit kann der mit dem Erbfall bereits entstandene (§ 2317 Abs. 1 BGB) Pflichtteilsanspruch als in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden. Bei einer derart eingeschränkten Pfändung erwirbt der Pfändungsgläubiger bei Eintritt der Verwertungsvoraussetzungen ein vollwertiges Pfandrecht, dessen Rang sich nach dem Zeitpunkt der Pfändung bestimmt. Die Verwertungsbefugnis entsteht also erst, wenn die in § 852 Abs. 1 ZPO genannten Voraussetzungen vorliegen. Verfügt der Pflichtteilsberechtigte nach dieser eingeschränkten Pfändung, so ist diese dem Pfändungsgläubiger gegenüber bereits unwirksam (§ 829 Abs. 1 S. 2 ZPO). Wie der BGH entschieden hat, muss sowohl der Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungsbeschlusses als auch dieser Beschluss aber keine Angaben dazu enthalten, ob vertragliche Anerkennung oder Rechtshängigkeit vorliegt. Im Hinblick auf die missverständliche Formulierung des § 852 Abs. 1 ZPO wird den Vollstreckungsgerichten bis zu einer gesetzlichen Regelung empfohlen, in den Pfändungsbeschluss in allgemein verständlicher Form einen Hinweis aufzunehmen, dass die Verwertung des Anspruchs erst erfolgen darf, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind. Der gepfändete Pflichtteilsanspruch darf dem Gläubiger erst zur Einziehung überwiesen werden, wenn die Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO vorliegen. Der Gläubiger kann in entsprechender Anwendung von § 836 ZPO insoweit Auskunft vom Schuldner verlangen. Schuldner und Drittschuldner können mit der Erinnerung nach § 766 ZPO geltend machen, dass die Voraussetzungen des § 852 Abs. 1 ZPO für die Überweisung zur Einziehung nicht vorliegen.