Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 47
Bei der Zugewinngemeinschaft ist der Pflichtteil abhängig davon, ob es nach § 1371 BGB hinsichtlich des Erbrechts des Ehegatten zur erb- oder zur güterrechtlichen Lösung kommt (§ 2303 Abs. 2 S. 2 BGB).
Rz. 48
Die erbrechtliche Lösung mit dem sog. großen Pflichtteil des Ehegatten tritt ein, wenn
▪ |
der Ehegatte gesetzlicher oder gewillkürter Erbe wird oder |
▪ |
der überlebende Ehegatte ein ihm zugewandtes Vermächtnis annimmt; der Wert des Vermächtnisses ist dabei unerheblich. |
Praxishinweis
Auch das "Ein-Euro-Vermächtnis" führt zur erbrechtlichen Lösung, aber nur, wenn es auch angenommen wird. Ist der Zugewinn des Erblassers voraussichtlich groß, so sollte man schon ein "Zuckerl" anbieten, damit der überlebende Ehegatte/Lebenspartner nicht ausschlägt!
Rz. 49
In den Fällen von Rdn 48 steht dem überlebenden Ehegatten der nach § 1371 Abs. 1 BGB um ein Viertel erhöhte gesetzliche Erbteil zu, so dass die Pflichtteilsquote neben Abkömmlingen ¼, neben Eltern ⅜ beträgt (sog. großer Pflichtteil). Ob überhaupt ein Zugewinnausgleich für den überlebenden Ehegatten erzielt wurde, spielt hier keine Rolle; das Gleiche gilt für ehevertragliche Modifizierungen des Zugewinnausgleichs, die nur für den Fall der Auflösung des Güterstands unter Lebenden gelten. Soweit sich ehevertragliche Vereinbarungen über die Modifizierung der Zugewinngemeinschaft auch auf den Todesfall auswirken, sind solche in dem Maße unwirksam, als dadurch der Pflichtteil der anderen Pflichtteilsberechtigten verkürzt wird, etwa die Ausgleichspauschale des § 1371 Abs. 1 BGB heraufgesetzt wird.
Rz. 50
Dieser große Pflichtteil des Ehegatten hat auch für diesen selbst erhebliche Bedeutung:
▪ |
soweit es um eigene Pflichtteilsansprüche des Ehegatten in den Fällen der §§ 2305, 2306 und 2307 BGB geht; |
▪ |
soweit es sich um Pflichtteilsergänzungsansprüche des Ehegatten handelt (§§ 2325, 2329 BGB); |
▪ |
bei den Regelungen der §§ 2318, 2319 und 2328 BGB zur "Verteidigung" des Pflichtteils des pflichtteilsberechtigten Erben. |
Rz. 51
Die sog. güterrechtliche Lösung tritt ein, wenn der Ehegatte weder Erbe wurde noch ein Vermächtnis erhielt. Er kann in dieser Konstellation nur den sog. kleinen Pflichtteil verlangen, dessen Höhe sich durch die Halbierung des nicht erhöhten gesetzlichen Ehegattenerbteils (§ 1931 Abs. 1 BGB) errechnet. Daneben hat er noch den Anspruch auf den rechnerisch genauen Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 2 BGB), der nach den §§ 1373 ff. BGB, also nach güterrechtlichen Grundsätzen (nicht pauschal), geltend zu machen und zu berechnen ist. Ein Wahlrecht, statt diesem kleinen Pflichtteil und dem rechnerischen Zugewinnausgleich den sog. großen Pflichtteil zu verlangen, hat der Ehegatte hier jedoch nicht (sog. Einheitstheorie).
Rz. 52
Als Ausnahme von dem sonst geltenden erbrechtlichen Grundsatz, dass die Ausschlagung zum Verlust des Pflichtteils führt (siehe Rdn 3), steht der kleine Pflichtteil dem Ehegatten auch dann zu, wenn er die zugewandte Erbschaft oder das Vermächtnis ausschlägt, vorausgesetzt, seine Pflichtteilsberechtigung ist nicht aus anderem Grund entfallen (etwa wegen eines Pflichtteilsverzichts, § 1371 Abs. 3 BGB). Der Ehegatte soll also immer die Möglichkeit haben, den "verdienten", rechnerisch genau ermittelten Zugewinnausgleich zu erhalten und den kleinen Pflichtteil nicht zu verlieren. Die hier zu treffenden Entscheidungsüberlegungen werden unter dem Stichwort "taktische Ausschlagung" diskutiert (siehe § 10 Rdn 240 ff.). Der Zugewinnausgleich kann auch dann verlangt werden, wenn die Pflichtteilsberechtigung des Ehegatten entfallen ist (§§ 1933, 2335, 2339, 2344 Abs. 1 BGB und § 2345 Abs. 2, § 2346 BGB). Daneben bestehen zwischen dem kleinen Pflichtteil und dem Zugewinnausgleich noch andere erhebliche Unterschiede.
Rz. 53
Die Frage, ob der Ehegatte Anspruch auf den großen oder kleinen Pflichtteil hat, ist auch für die Erb- und Pflichtteilsquote der anderen Pflichtteilsberechtigten bedeutsam (§ 1371 Abs. 2 Hs. 2 BGB). Denn Ehegattenerbteil und Erb- und Pflichtteil der anderen Pflichtteilsberechtigten korrespondieren. Daher berechnen sich nach nahezu einhelliger Meinung die Pflichtteile der Abkömmlinge, Lebenspartner und der Eltern des Verstorbenen nach dem gem. § 1371 Abs. 1 BGB erhöhten Ehegattenerbteil, wenn der überlebende Ehegatte (gewillkürter oder gesetzlicher) Erbe oder Vermächtnisnehmer wird. Kommt es zur güterrechtlichen Lösung (§ 1371 Abs. 2 BGB), bestimmt sich der Pflichtteil der übrigen Pflichtteilsberechtigten nach dem nicht erhöhten Ehegattenerbteil (§ 1371 Abs. 2 Hs. 2 BGB). Allerdings wird hier der Nachlasswert um die als Nachlassverbindlichkeit abzusetzende Zugewinnausgleichsforderung vorab u.U. erheblich verringert, was aber davon abhängt, dass tatsächlich ein Zugewinnausgleich erzielt wurde.
Praxishinweis
Die Auswirkungen des Güterstands, insb. aber der Zugewinngemeinschaft mit ihren beiden "Spielarten" der erb- und güterrechtlichen Lösung, sind für die Höhe der anderen Erb- und Pfli...