Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 86
Aufgrund der von der Rspr. entwickelten, zeitlich erweiterten Pfändungsmöglichkeit (siehe Rdn 85) gehört die Pflichtteilsforderung von Anfang an zur Insolvenzmasse (§§ 35, 36 Abs. 1 InsO). Allerdings tritt auch hier die Verwertungsmöglichkeit erst mit der Anerkennung oder Rechtshängigkeit des Anspruchs ein. Daher kann der Insolvenzverwalter die Forderung erst dann einziehen. Andererseits hindert der Insolvenzbeschlag den Pflichtteilsberechtigten nicht, eine Anerkennung zu erwirken oder Klage auf Zahlung zu erheben, lässt ihm aber auch die Entscheidungsfreiheit hierfür. Da entsprechend den Grundsätzen zur Einzelzwangsvollstreckung die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten geschützt werden muss, ist auch ein nach Insolvenzeröffnung vom Insolvenzschuldner erklärter Verzicht (§ 397 BGB) dem Insolvenzverwalter gegenüber wirksam, wenn die Verwertungsreife nach § 852 ZPO noch nicht eingetreten ist, und bis dahin auch nicht anfechtbar.
Rz. 87
Unterlässt der Pflichtteilsberechtigte die Geltendmachung des Anspruchs, so wird damit für den Pfändungsgläubiger dessen Realisierung unmöglich. Er kann dann auch die Geltendmachung nicht nach den Vorschriften über die Gläubigeranfechtung erzwingen. Die sich aus § 852 Abs. 1 ZPO für den Gläubiger ergebende Beschränkung gilt auch dann, wenn der Berechtigte zu Lebzeiten des Erblassers diesen dazu bewogen hat, nicht ihn, sondern einen anderen als Erben einzusetzen, um damit einen Gläubigerzugriff zu verhindern. Wird jedoch auf den bereits anerkannten oder rechtshängig gemachten Pflichtteilsanspruch verzichtet, so soll dies insolvenzrechtlich anfechtbar sein.
Rz. 88
Hinsichtlich des bereits entstandenen Pflichtteilsanspruchs im Restschuldbefreiungsverfahren wurde bisher teilweise eine Herausgabeobliegenheit i.S.v. § 295 Nr. 2 InsO bejaht, und zwar auch dann, wenn die Verwertungsreife nach § 852 Abs. 1 ZPO noch nicht eingetreten ist, weil dadurch die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten nur in "wirtschaftlicher Hinsicht" beeinträchtigt werde. Der BGH hat dies jedoch zwischenzeitlich abgelehnt, nachdem er die Rechtsfrage zunächst noch offengelassen hatte. Zwar gilt für die Wohlverhaltensphase, dass der Pflichtteilsanspruch als Erwerb von Todes wegen im Sinne der Vorschrift des § 295 Nr. 2 InsO anzusehen ist. Diesen aber muss der Schuldner hälftig an den Treuhänder abführen, wenn er den Pflichtteilsanspruch rechtshängig macht oder eine Anerkennung vorliegt. Dieser Halbteilungsgrundsatz greift aber erst ein, wenn der Schuldner bei einer Erbschaft diese angenommen oder der Pflichtteilsanspruch rechtshängig gemacht oder anerkannt wurde, da er vorher gem. § 852 Abs. 1 ZPO nicht den Verpflichtungen unterworfen ist: Nach der Rspr. kann der Pflichtteilsanspruch zwar bereits vor Anerkennung oder Rechtshängigkeit als aufschiebend bedingter Anspruch gepfändet werden (siehe Rdn 86), so dass er zwar zur Insolvenzmasse gehört, aber ohne Vorliegen dieser Voraussetzungen noch nicht verwertbar ist. Damit stellt sich die Frage der Obliegenheitsverletzung, wenn der Schuldner den Gläubigern durch Nichtgeltendmachung den Zugriff auf den Pflichtteilsanspruch vorenthält. Dies sei nach Ansicht des Senats zu verneinen. Sinn und Zweck des § 295 Nr. 2 InsO verböten es, dem Schuldner eine entsprechende Pflicht aufzuerlegen. Die Halbteilung und der mit ihr bezweckte Anreiz, eine Erbschaft nicht auszuschlagen und keine Maßnahmen zu treffen, um den Erwerb von Todes wegen nicht anfallen zu lassen, hätten ansonsten keinen Sinn. Der Gesetzgeber sei von der vollen Dispositionsbefugnis des Schuldners ausgegangen, wie sie im eröffneten Verfahren in § 83 InsO geregelt sei.
Rz. 89
Gefahren drohen aber aus einer neueren Entscheidung des BGH: Wird der während des Insolvenzverfahrens entstandene Pflichtteilsanspruch erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens anerkannt oder rechtshängig gemacht, so unterliegt er damit der Nachtragsverteilung nach § 203 InsO. Dies wird noch dadurch verschärft, dass der Antrag des Insolvenzverwalters nach § 203 Abs. 1 InsO an keine Frist gebunden ist. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang auch, ob die Wohlverhaltensphase abgelaufen ist. Dennoch weist der Gläubigerschutz diesbezüglich erhebliche Lücken auf: Denn die Nachtragsverteilung ist nur möglich, wenn der Pflichtteilsanspruch dem Pflichtteilsberechtigten im Zeitpunkt der Anordnung dieses Verfahrens noch zusteht. Wurde aber bei der Schlussverteilung die Nachtragsverteilung hinsichtlich des Pflichtteilsanspruchs nicht vorbehalten, so erlangt der Pflichtteilsberechtigte mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens wieder seine Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis. Er kann daher über den Pflichtteilsanspruch ab dann wieder wirksam verfügen und diesen insb. abtreten. Dadurch scheidet dieser Anspruch aus seinem Vermögen aus, so dass die Nachtragsverteilung damit "ins Leere geht". Daher kann weder der an einen Dritten abgetretene Pflichtteilsans...