Dr. iur. Nikolas Hölscher
aa) Annahme der Erbschaft
Rz. 18
§ 2306 BGB räumt dem Pflichtteilsberechtigten immer ein Wahlrecht ein: Er kann entweder den hinterlassenen Erbteil samt seinen Beschränkungen oder Beschwerungen annehmen oder aber die Erbschaft ausschlagen und den Pflichtteil verlangen. In welcher Höhe dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen wurde, ist für das Bestehen des Wahlrechts unerheblich.
Rz. 19
Bei Annahme der Erbschaft bleibt der Pflichtteilsberechtigte Erbe mit allen sich daraus ergebenden Vor- und Nachteilen. Alle angeordneten Beschränkungen und Beschwerungen bleiben bestehen. So muss er auch Vermächtnisse erfüllen, selbst wenn dadurch der Wert des Nachlasses ausgeschöpft wird. Dass dadurch auch in seinen Pflichtteil eingegriffen wird, ist ohne Belang; auch § 2318 Abs. 3 BGB schützt den pflichtteilsberechtigten Erben hier nicht (siehe § 2 Rdn 69 ff.). Er hat dann auch keinen Pflichtteilsrestanspruch. Jedoch besteht bei einem tatsächlichen Irrtum über das Bestehen der Belastungen ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB zumindest dann, wenn durch diese der Pflichtteilsanspruch gefährdet wäre. Nach der Rspr. des BGH kann der Pflichtteilsberechtigte auch anfechten, wenn er infolge eines Rechtsirrtums nicht erkannte, dass er seinen Pflichtteil gegen zu große Vermächtnisbeschwerungen nur durch Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB verteidigen kann, und daher die Ausschlagung versäumte.
bb) Ausschlagung
(1) Ausschlagungserklärung
Rz. 20
Erklärt dagegen der Pflichtteilsberechtigte fristgerecht (siehe Rdn 30 ff.) die Ausschlagung, so erhält er den vollen Pflichtteilsanspruch. Schlägt der überlebende Ehegatte oder eingetragene Lebenspartner einer Zugewinngemeinschaft aus, so kommt es zur güterrechtlichen Lösung: Er erhält den sog. kleinen Pflichtteil und den Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 3 BGB); einen Anspruch auf den sog. großen Pflichtteil, der sich nach dem gem. § 1371 Abs. 1 BGB rechnerisch erhöhten Erbteil bemisst, hat er jedoch nicht.
Rz. 21
Die Ausschlagung hat gegenüber dem Nachlassgericht in öffentlich beglaubigter Form zu erfolgen (§ 1945 Abs. 1 BGB). Daher kann im bloßen Pflichtteilsverlangen nicht die Ausschlagung gesehen werden.
(2) Gegenstand der Ausschlagung
Rz. 22
In jüngerer Vergangenheit wurde problematisiert, worauf sich die Ausschlagung des Erben nach § 2306 Abs. 1 BGB eigentlich bezieht. Im Wesentlichen werden hierzu drei Auffassungen vertreten:
Rz. 23
(1) Zum einen wird verlangt, dass die Erbschaft allein aus dem Berufungsgrund der testamentarischen Erbfolge ausgeschlagen werden dürfe. Dabei könne in der Ausschlagungserklärung selbst der Beweggrund für die Ausschlagung und damit auch ausdrücklich § 2306 BGB genannt werden; daraus ergebe sich, dass der Erklärende trotz der Ausschlagung noch seinen Pflichtteil verlangen möchte. Zur Begründung wird hierzu angegeben, dass zum einen nach dem Wortlaut des § 2306 Abs. 1 BGB sich die Ausschlagungserklärung nur auf den hinterlassenen, also den gewillkürten Erbteil beziehen dürfe. Zum anderen wird angeführt, dass bei einer umfassenden Ausschlagung der Erbschaft gerade kein Pflichtteilsanspruch mehr bestehe, weil kein Ausschluss von der Erbfolge i.S.d. § 2303 Abs. 1 S. 1 BGB durch Verfügung von Todes wegen vorliege, sondern der Verlust der Erbschaft auf der Ausschlagung beruht.
Rz. 24
(2) Nach der Gegenauffassung ist demgegenüber eine umfassende Ausschlagung erforderlich, die alle Berufungsgründe erfasse, also sowohl eine Ausschlagung der Erbschaft, die auf eine Verfügung von Todes wegen beruht, als auch der Erbschaft, die sich kraft Gesetzes ergibt. Denn es sei zu beachten, dass eine Person bei der Ausschlagung allein aus dem Berufungsgrund der testamentarischen Erbfolge immer noch Erbe aufgrund gesetzlicher Erbfolge werden könne. Dies könne sich etwa daraus ergeben, dass aufgrund des Testaments oder zumindest seiner Auslegung weder eine Ersatzerbfolge (§ 2096 BGB) noch eine Anwachsung an die ebenfalls eingesetzten Miterben erfolge (§ 2064 BGB) oder dass auch diese nicht zur Erbfolge gelangten, weil sie ebenfalls die Erbschaft ausschlagen. Dann aber sei der pflichtteilsberechtigte Erbe nicht durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen. Andererseits bedeute eine umfassende Ausschlagungserklärung nicht, dass der Ausschlagende auf seinen Pflichtteil verzichten möchte.
Rz. 25
(3) Daneben wird auch eine differenzierende Meinung vertreten. Diese hält beide zuvor genannten Auffassungen für unzutreffend und zu pauschal. Vielmehr müsse sich die Ausschlagung nach § 2306 Abs. 1 BGB stets auf alle diejenigen Sachve...