Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 33
Nach § 2306 Abs. 2 BGB ist der zum Nacherben eingesetzte Pflichtteilsberechtigte wie ein beschwerter Erbe zu behandeln. Die Beschwerung liegt darin, dass er nicht sofort, sondern erst zeitlich versetzt mit Eintritt des Nacherbfalls Erbe wird. Insbesondere wenn der Vorerbe von den gesetzlichen Beschränkungen umfassend befreit ist (§§ 2136 f. BGB), ist dann aber von der Erbschaft u.U. nichts mehr übrig.
Rz. 34
Der Pflichtteilsberechtigte kann daher zwischen der Annahme der Nacherbschaft und der Ausschlagung zur Erlangung des vollen Pflichtteils wählen. Pflichtteilsansprüche und Auskunftsansprüche aus § 2314 BGB können erst mit der Ausschlagung der Nacherbschaft geltend gemacht werden.
Rz. 35
In zeitlicher Hinsicht ist für den Nacherben hier scheinbar keine so schnelle Entscheidung erforderlich. Denn die Ausschlagungsfrist beginnt für den Nacherben zwar nicht vor Eintritt des Nacherbfalls (§§ 2139, 1944 BGB), allerdings kann bereits ab Eintritt des Erbfalls ausgeschlagen werden (§ 2142 Abs. 1 BGB). Aber es droht eine Haftungsfalle: Die Verjährungsfrist für den Pflichtteilsanspruch beginnt bereits früher zu laufen, und zwar mit der Kenntnis des (ersten) Erbfalls und der ihn beeinträchtigenden Verfügung und nicht erst mit der Ausschlagung (§ 2332 Abs. 1 und 3 BGB). Der Pflichtteilsberechtigte muss daher noch innerhalb der Verjährungsfrist ausschlagen, um nicht den Pflichtteilsanspruch zu verlieren. Dabei kann in dem Pflichtteilsverlangen allein noch keine Erbschaftsausschlagung gesehen werden, da diese gegenüber dem Nachlassgericht formgerecht zu erklären ist (§ 1945 Abs. 1 BGB). Die anlässlich der Ausschlagungsentscheidungen anzustellenden Überlegungen sind nicht einfach. Für eine Ausschlagung spricht insbesondere,
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wenn der Vorerbe befreit ist, wobei zu beachten ist, dass die Sicherungs- und Kontrollrechte des Nacherben einen nur unvollkommenen Schutz bieten können, |
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dass der Nacherbfall noch länger dauern wird, |
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dass der Pflichtteilsanspruch einen sofort realisierbaren Wert darstellt, während bei der Nacherbschaft letztlich offen ist, welcher Wert tatsächlich erzielt werden kann. Allerdings kann der Wert der Nacherbschaft je nach der gewählten Gestaltung auch wesentlich höher sein als der Pflichtteil. |
Daneben können auch noch andere, nicht juristische Überlegungen eine Rolle spielen, wie etwa die Aufrechterhaltung und Sicherung guter persönlicher Beziehungen.
Rz. 36
Hat der Pflichtteilsberechtigte ausnahmsweise bereits den Pflichtteil erhalten, ohne die Nacherbschaft ausgeschlagen zu haben, so muss er sich mit Eintritt des Nacherbfalls den rechtsgrundlos erhaltenen Vorausempfang anrechnen lassen. Nach der Gegenansicht ist dem Pflichtteilsberechtigten sogar die gesamte Nacherbschaft unter Berufung auf § 242 BGB zu versagen, was aber zu weit geht.
Rz. 37
Umstritten ist, ob § 2306 Abs. 2 BGB auch auf den aufschiebend bedingt zum Nacherben eingesetzten Pflichtteilsberechtigten anwendbar ist, wenn also der Eintritt der Nacherbfolge ungewiss ist. Die Streitfrage betrifft in der Praxis so wichtige Gestaltungen wie die Wiederverheiratungs- oder Verwirkungsklauseln.
Rz. 38
(1) Nach einer Ansicht ist § 2306 Abs. 2 BGB hier nicht anwendbar, denn der Nacherbe ist bei Eintritt des Erbfalls infolge der Ungewissheit über den Bedingungseintritt nicht i.S.d. § 2306 BGB "zur Erbfolge berufen", sondern hiervon gerade ausgeschlossen. Er kann daher den vollen Pflichtteil ohne Ausschlagung verlangen. Erst wenn der Nacherbfall eingetreten ist, muss er sich nach dieser Meinung hierauf das anrechnen lassen, was er bereits als Pflichtteil erhalten hat, da er nun zum Erben berufen und der Rechtsgrund für die Pflichtteilszahlung entfallen ist.
(2) Die überzeugende Gegenmeinung sieht in § 2306 Abs. 2 BGB sowohl eine Regelung für den aufschiebend befristeten Nacherben wie auch für den aufschiebend bedingten; denn weder wirtschaftlich noch rechtlich besteht ein Bedürfnis, diese beiden Fallgruppen anders zu behandeln. Hinzu kommt, dass auch dem aufschiebend bedingten Nacherben bereits mit Eintritt des Erbfalls ein Anwartschaftsrecht zusteht und Abgrenzungsprobleme vermieden werden, wenn der Nacherbe sowohl unter einer aufschiebenden Bedingung als auch einer aufschiebenden Befristung eingesetzt wird. Der zum aufschiebend bedingten Nacherben berufene Pflichtteilsberechtigte muss daher ausschlagen, um seinen Pflichtteil verlangen zu können. Solange er dies nicht getan hat, steht ihm auch der Anspruch aus § 2314 BGB nicht zu.