Dr. iur. Nikolas Hölscher
Rz. 44
Da sich das Erbrecht bei Vorhandensein von Ehegatten in Abhängigkeit vom Güterstand bestimmt, variiert bei verheirateten Erblassern und solchen, die in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebten, die Pflichtteilsquote des Ehegatten, Lebenspartners, der Abkömmlinge und der Eltern des Verstorbenen je nachdem, welcher Güterstand bestand. Aus der Güterstandsabhängigkeit des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilsrechts ergeben sich auch Gestaltungsmöglichkeiten zur Pflichtteilsreduzierung (siehe § 7 Rdn 61 ff.).
1. Gütergemeinschaft
Rz. 45
Galt im Erbfall der vertraglich zu vereinbarende Güterstand der Gütergemeinschaft (§§ 1415 ff. BGB) – was allerdings nur noch selten vorkommt –, so beträgt der Pflichtteil des überlebenden Ehegatten neben Abkömmlingen ⅛ (§ 1931 Abs. 1 S. 1 BGB), neben den Verwandten der zweiten Erbordnung oder Großeltern ¼. Zu beachten ist weiter, dass hier verschiedene Vermögensmassen bestehen: Am Gesamtgut sind beide Ehegatten wirtschaftlich zur Hälfte beteiligt, während das Sonder- und Vorbehaltsgut des Verstorbenen diesem alleine zustand.
2. Gütertrennung
Rz. 46
Bei der Gütertrennung ist § 1931 Abs. 4 BGB zu beachten, durch den das System des festen Ehegattenerbteils durchbrochen wird. Danach beträgt die Pflichtteilsquote des Ehegatten neben einem Kind ¼, neben zwei Kindern 1/6 und neben drei und mehr Kindern je ⅛.
3. Zugewinngemeinschaft
Rz. 47
Bei der Zugewinngemeinschaft ist der Pflichtteil abhängig davon, ob es nach § 1371 BGB hinsichtlich des Erbrechts des Ehegatten zur erb- oder zur güterrechtlichen Lösung kommt (§ 2303 Abs. 2 S. 2 BGB).
Rz. 48
Die erbrechtliche Lösung mit dem sog. großen Pflichtteil des Ehegatten tritt ein, wenn
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der Ehegatte gesetzlicher oder gewillkürter Erbe wird oder |
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der überlebende Ehegatte ein ihm zugewandtes Vermächtnis annimmt; der Wert des Vermächtnisses ist dabei unerheblich. |
Praxishinweis
Auch das "Ein-Euro-Vermächtnis" führt zur erbrechtlichen Lösung, aber nur, wenn es auch angenommen wird. Ist der Zugewinn des Erblassers voraussichtlich groß, so sollte man schon ein "Zuckerl" anbieten, damit der überlebende Ehegatte/Lebenspartner nicht ausschlägt!
Rz. 49
In den Fällen von Rdn 48 steht dem überlebenden Ehegatten der nach § 1371 Abs. 1 BGB um ein Viertel erhöhte gesetzliche Erbteil zu, so dass die Pflichtteilsquote neben Abkömmlingen ¼, neben Eltern ⅜ beträgt (sog. großer Pflichtteil). Ob überhaupt ein Zugewinnausgleich für den überlebenden Ehegatten erzielt wurde, spielt hier keine Rolle; das Gleiche gilt für ehevertragliche Modifizierungen des Zugewinnausgleichs, die nur für den Fall der Auflösung des Güterstands unter Lebenden gelten. Soweit sich ehevertragliche Vereinbarungen über die Modifizierung der Zugewinngemeinschaft auch auf den Todesfall auswirken, sind solche in dem Maße unwirksam, als dadurch der Pflichtteil der anderen Pflichtteilsberechtigten verkürzt wird, etwa die Ausgleichspauschale des § 1371 Abs. 1 BGB heraufgesetzt wird.
Rz. 50
Dieser große Pflichtteil des Ehegatten hat auch für diesen selbst erhebliche Bedeutung:
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soweit es um eigene Pflichtteilsansprüche des Ehegatten in den Fällen der §§ 2305, 2306 und 2307 BGB geht; |
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soweit es sich um Pflichtteilsergänzungsansprüche des Ehegatten handelt (§§ 2325, 2329 BGB); |
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bei den Regelungen der §§ 2318, 2319 und 2328 BGB zur "Verteidigung" des Pflichtteils des pflichtteilsberechtigten Erben. |
Rz. 51
Die sog. güterrechtliche Lösung tritt ein, wenn der Ehegatte weder Erbe wurde noch ein Vermächtnis erhielt. Er kann in dieser Konstellation nur den sog. kleinen Pflichtteil verlangen, dessen Höhe sich durch die Halbierung des nicht erhöhten gesetzlichen Ehegattenerbteils (§ 1931 Abs. 1 BGB) errechnet. Daneben hat er noch den Anspruch auf den rechnerisch genauen Zugewinnausgleich (§ 1371 Abs. 2 BGB), der nach den §§ 1373 ff. BGB, also nach güterrechtlichen Grundsätzen (nicht pauschal), geltend zu machen und zu berechnen ist. Ein Wahlrecht, statt diesem kleinen Pflichtteil und dem rechnerischen Zugewinnausgleich den sog. großen Pflichtteil zu verlangen, hat der Ehegatte hier jedoch nicht (sog. Einheitstheorie).
Rz. 52
Als Ausnahme von dem sonst geltenden erbrechtlichen Grundsatz, dass die Ausschlagung zum Verlust des Pflichtteils führt (siehe Rdn 3), steht der kleine Pflichtteil dem Ehegatten auch dann zu, wenn er die zugewandte Erbschaft oder das Vermächtnis ausschlägt, vorausgesetzt, seine Pflichtteilsberechtigung ist nicht aus anderem Grund entfallen (etwa wegen eines Pflichtteilsverzichts, § 1371 Abs. 3 BGB). Der Ehegatte soll also immer die Möglichkeit haben, den "verdienten", rechnerisch genau ermittelten Zugewinnausgleich zu erhalten und den klein...