Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 7
Die Erteilung einer Vorsorgevollmacht zur Vermeidung einer rechtlichen Betreuung ist Ausdruck des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Selbstbestimmungsrechts des Menschen. Die Vorsorgevollmacht folgt den allgemeinen Regeln des Stellvertretungsrechtes der §§ 164 ff. BGB, die auch für die im Rahmen der Vorsorgetätigkeit anfallenden geschäftsähnlichen Handlungen analog Anwendung finden. Sie kann Vertretungsmacht in vermögensrechtlichen und höchstpersönlichen Belangen gleichermaßen verleihen. Sie kann aber im Zusammenhang mit einer Patientenverfügung auch auf die persönlichen Belange des Mandanten beschränkt sein.
Rz. 8
Die Vertretungsmacht ist kein subjektives Recht des Bevollmächtigten, sondern lediglich die Legitimation, für einen anderen durch Handeln in seinem Namen für ihn gültige Regelungen zu treffen.
Um Vorrang gegenüber der Betreuung zu haben, muss die Vollmacht
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wirksam – also im Zustand der Geschäftsfähigkeit – erteilt worden und |
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der Bevollmächtigte geeignet sein. |
Eine erteilte Vollmacht steht der Anordnung einer Betreuung nur dann nicht entgegen, wenn die Unwirksamkeit der Vorsorgevollmacht positiv festgestellt werden kann. Die Einwilligungsfähigkeit eines Menschen allein lässt keinen Rückschluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betroffenen zu.
Die Eignung des Bevollmächtigten war schon im bisherigen Recht einer der Angriffspunkte, um einer wirksam erteilten Vorsorgevollmacht die Vorrangstellung zu nehmen. So hat der BGH jüngst entschieden, dass sich Mängel im Entscheidungsprozess des handelnden Bevollmächtigten (Nichtberücksichtigung des verfassungsrechtlichen Schutzes der Ehe) auf dessen Eignung auswirken können. Dabei ging es um einen Streit zwischen Vater/Ehemann und den – mit einer alleinvertretungsberechtigenden Vollmacht ausgestatten- Kindern über eine 200 km vom Wohnort des Vaters entfernten Heimunterbringung der Mutter/Ehefrau. Einen Eignungsmangel hat die untergerichtliche Literatur in jüngster Zeit auch dann angenommen, wenn ein Betreuer die Impfung ihres besonders gefährdeten Betreuten gegen COVID-19 grundsätzlich, dauerhaft und ungeachtet der sich zuspitzenden Situation ablehnt, ohne dass hierfür tragfähige Erwägungen vorliegen.
Rz. 9
Dreh- und Angelpunkt des neuen Betreuungsrechts sind die Wünsche des Betreuten bzw. auch die des Vollmachtgebers. Deswegen hat der Vorrang der Vorsorgevollmacht gegenüber der Betreuung im neuen Betreuungsrecht Veränderungen bzw. Einschränkungen erfahren. Die durch einen Geschäftsfähigen wirksam erteilte Vorsorgevollmacht macht nach § 1814 Abs. 3 Nr. 1 BGB (§ 1896 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.) die Bestellung eines Betreuers entbehrlich, wenn seine Angelegenheiten durch einen Bevollmächtigten, der nicht zu den in § 1816 Abs. 6 BGB (§§ 1896 Abs. 2, 1897 Abs. 3 BGB a.F.) bezeichneten Personen gehört, gleichermaßen besorgt werden können. Die alte Fassung der trotz der erteilten Vorsorgevollmacht ausgeschlossenen Personen wurde in der Neufassung des Gesetzes auf sämtliche Personen, die zu einem Träger von Einrichtungen oder Diensten, die in der Versorgung des Volljährigen tätig sind, in einem Abhängigkeitsverhältnis oder einer anderen engen Beziehung stehen, erweitert. "Damit werden die Fälle deutlich ausgeweitet, in denen das Betreuungsgericht trotz des Bestehens einer Vorsorgevollmacht einen Betreuer bestellen und hierdurch einen gegebenenfalls drohenden Missbrauch der Vollmacht von vornherein verhindern kann."
Rz. 10
Die alte Fassung des § 1896 Abs. 2 BGB forderte in diesem Zusammenhang noch, dass die Angelegenheiten des Volljährigen durch eine Vollmacht ebenso gut wie durch einen Betreuer besorgt werden können müssten. Dieser Vergleichsmaßstab ist im Rahmen der Reform geändert worden. "Während bisher in der Formulierung "ebenso gut" ein Qualitätsaspekt enthalten ist, soll nunmehr klargestellt werden, dass Vergleichsmaßstab nicht eine bestimmte Qualität ("gut") ist, sondern eine mit einer Betreuung vergleichbare Besorgung der Angelegenheiten ("gleichermaßen")."
Rz. 11
Durch das neue Betreuungsrecht werden in § 1820 Abs. 4 BGB ab 1.1.2023 außerdem die Vorsorgevollmacht, das Instrument der Kontrollbetreuung und die Widerrufsmöglichkeiten einer Vollmacht durch einen Betreuer nach Maßgabe des Übermaßverbotes geregelt. Das Betreuungsgericht kann nach § 1820 Abs. 4 BGB auch anordnen, dass ein Bevollmächtigter die ihm erteilte Vollmacht nicht ausüben darf und die Vollmachtsurkunde an den Betreuer herauszugeben hat, wenn die dringende Gefahr besteht, dass der Bevollmächtigte nicht den Wünschen des Vollmachtgebers entsprechend handelt und dadurch die Person des Vollmachtgebers oder dessen Vermögen gefährdet.