Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 71
Der Gesetzgeber hat mit § 132g SGB V den Schritt weg von der allgemein geltenden Patientenverfügung hin zu der individuell-gesundheitlichen Versorgungsplanung am Lebensende getan. Die gesundheitliche Versorgungsplanung in stationären Einrichtungen sieht unter anderem vor, dass die Versicherten über die medizinisch-pflegerische Versorgung und Betreuung in der letzten Lebensphase beraten werden und ihnen Hilfe und Angebote der Sterbebegleitung aufgezeigt werden sollen. Im Rahmen einer Fallbesprechung soll nach den individuellen Bedürfnissen des Versicherten insbesondere auf medizinische Abläufe in der letzten Lebensphase und während des Sterbeprozesses eingegangen, sollen mögliche Notfallsituationen besprochen und geeignete einzelne Maßnahmen der palliativ-medizinischen, palliativ-pflegerischen und psychosozialen Versorgung dargestellt werden. In die Fallbesprechung sind der den Versicherten behandelnde Hausarzt oder sonstige Leistungserbringer der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs. 1 S. 1 SGB V einzubeziehen. Auf Wunsch des Versicherten sind Angehörige und weitere Vertrauenspersonen zu beteiligen. Für mögliche Notfallsituationen soll die erforderliche Übergabe des Versicherten an relevante Rettungsdienste und Krankenhäuser vorbereitet werden.
Rz. 72
Damit kann davon ausgegangen werden, dass die präventiv-abstrakte Patientenverfügung nach reinen Textbausteinen in naher Zukunft zumindest in stationären Einrichtungen vom Konzept des Advance care planning abgelöst werden wird. Advance care planning versteht sich nicht als einmaliger Akt der Erstellung einer Patientenverfügung, sondern als Prozess. Es handelt sich um eine dynamische Form der Patientenverfügung, die aus einem Gesprächsprozess zwischen dem Betroffenen, ggf. seinem Vertreter (oder nahen Angehörigen) und einer hierfür geschulten Gesundheitsfachkraft entsteht. Diese soll als professioneller Moderator einen Prozess steuern, bei dem der Patient seine Werte, Grundlagen und Ziele definiert, relevante künftige hypothetische Szenarien kennen- und verstehen lernt, seine Behandlungspräferenzen entwickelt und festlegt. Der Gesprächsprozess soll in "einer im formalen Aufbau möglichst regional einheitlichen, inhaltlich aber mit Unterstützung des professionellen Prozessbegleiters" individuell ausgefüllten Patientenverfügung als Ausdruck einer informierten Einwilligung bzw. Ablehnung von etwaigen künftigen Behandlungsmaßnahmen unter den im Gespräch erörterten Bedingungen münden.“
Rz. 73
Das wird in der Zukunft interessante Fragen zum Verhältnis der anwaltlich geschaffenen Patientenverfügung aufwerfen. Wird dann eine in der Vergangenheit sorgfältig anwaltlich erstellte Patientenverfügung nicht ohnehin außer Kraft gesetzt? Oder andersherum: Hat der Patient nicht grundsätzlich einen Anspruch darauf, in Ruhe gelassen und ungefragt aufgedrängte Beratungsangebote unter Hinweis auf eine bereits erstellte Patientenverfügung ablehnen zu können? Jedenfalls weist die Entwicklung zum Advance care planning den Weg zu einer Patientenverfügung, die von Anfang an den Zielen und Werten des Mandanten ausgerichtet – also eine höchst individuelle – Patientenverfügung sein muss, um sich in der schwächsten Phase des Lebens ausreichend gegen Einflüsse von außen zu schützen.