Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 191
Aus rechtlichen Gründen gilt eine Patientenverfügung so lange, bis sie widerrufen wird. Nach § 1827 Abs. 1 S. 3 BGB (§ 1901a Abs. 1 S. 3 BGB a.F.) kann der Widerruf einer Patientenverfügung jederzeit formlos erfolgen. Der Widerruf kann ausdrücklich mündlich sowie auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Davon soll abzugrenzen sein die (teilweise) Abänderung einer Patientenverfügung, die wiederum dem Schriftformerfordernis des § 1827 Abs. 1 BGB (§ 1901a Abs. 1 BGB a.F.) unterfallen soll. Ob diese Differenzierung sinnvoll und richtig ist, erscheint fraglich.
Rz. 192
Ein besonderes Problem besteht in später abgegebenem situativ-spontanem Verhalten der Patienten gegenüber vorzunehmenden oder zu unterlassenden ärztlichen Maßnahmen. Ist das ein wirksamer Widerruf einer Patientenverfügung? Das Bundesverfassungsgericht verweist auf die Gesetzesbegründung:
Zitat
"Nach der Gesetzesbegründung umfasst die Prüfung alle Gesichtspunkte, die sich aus der aktuellen Lebens- und Behandlungssituation der Betroffenen ergeben, insbesondere auch die Prüfung, ob das aktuelle Verhalten der nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten konkrete Anhaltspunkte dafür zeigt, dass sie unter den gegebenen Umständen den zuvor schriftlich geäußerten Willen nicht mehr gelten lassen wollen (BT-Drucks 16/8442, 14 f.). Derartige Anhaltspunkte können sich nach der Gesetzesbegründung insbesondere aus dem situativ-spontanen Verhalten der Patienten gegenüber vorzunehmenden oder zu unterlassenden ärztlichen Maßnahmen ergeben (vgl. BT-Drucks 16/8442, 15)."
Rz. 193
Fraglich ist, ob man das Problem durch den vorweggenommenen Verzicht auf das Widerrufsrecht regeln kann. Das Widerrufsrecht garantiert den Schutz des Patienten. Das BVerfG hat – wenn auch im Kontext freiheitseinschränkender Maßnahmen – z.B. entschieden, dass ein Betroffener nicht vorab auf den staatlichen Schutz wie er durch die der betreuungsgerichtlichen Genehmigung vorgesehen sei, verzichten könne. Gerade in einer solchen Situation könne ein solcher Verzicht besonders schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Die Parallele liegt nahe. Ein genereller Verzicht auf jede Art von Widerruf, also eine immerwährende Weitergeltungsklausel dürfte jedenfalls wegen der jederzeitigen Widerrufsmöglichkeit unzulässig sein.
Rz. 194
Das Problem müsste sich aber ggf. durch ein Interpretationsverbot zumindest für die "situativ-spontanen Verhaltensweisen" lösen lassen. Der Nationale Ethikrat hält es nach vorherigen Belehrungen für zulässig, ein solches Interpretationsverbot auszusprechen.
Rz. 195
Muster 3.28: Interpretations-/Auslegungsverbot
Muster 3.28: Interpretations-/Auslegungsverbot
Die Patientenverfügung bleibt wirksam, bis ich sie widerrufen habe.
Wenn ich meinen natürlichen Willen selbst nicht mehr äußern kann, dann erlaube ich keine Interpretation meiner Verhaltensweisen oder Reaktionen als schlüssigen Widerruf meiner Patientenverfügung.
Rz. 196
Da es in solchen Situationen für Arzt und Vorsorgebevollmächtigten/Betreuer um Haftungsfragen geht, ist auch zu überlegen, ob man das Thema offen anspricht, um zu verhindern, dass aus Angst vor haftungsrechtlichen Konsequenzen insbesondere Verbote/Nichteinwilligungen nicht offen angesprochen werden. Eine ausdrückliche Entlassung aus der Haftung im schuldrechtlichen Sinne kann damit nicht verbunden sein. Für den Bevollmächtigten kann im Rahmen der Vollmachtserteilung nur eine in einem begrenzten Rahmen zulässige Haftungsbegrenzungsvereinbarung abgeschlossen werden. Eine solche Erklärung macht aber die Ernsthaftigkeit der Anordnungen und die Abwehr paternalistischer Entscheidungsgründe deutlich.
Rz. 197
Muster 3.29: Erklärung zum Verlust von Änderungsmöglichkeiten
Muster 3.29: Erklärung zum Verlust von Änderungsmöglichkeiten
Ich weiß, dass ich mit dem Verbot, konkludente Verhaltensweisen oder Reaktionen meines Körpers als Widerruf meiner Patientenverfügung zu interpretieren, das Risiko trage, dass eine Änderung meines Patientenwillens nicht mehr realisiert werden kann. Ich nehme das Risiko einer Fehlentscheidung ausdrücklich in Kauf, um eine Fremdbestimmung über die Art und den Umfang meiner Behandlung, insbesondere aber über einen Behandlungsabbruch, soweit wie möglich und rechtlich zulässig zu vermeiden. Ein solches Irrtumsrisiko trage ich. Ich bin mir bewusst, dass ich damit ggf. eine Chance vergebe.